: Rot-grünes Spiel mit verdeckten Karten
Inhaltliches dringt bei den Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und Bündnisgrünen in Sachsen-Anhalt kaum nach außen / Dissens bei Verfassungsschutz und Chlorchemie bahnt sich an ■ Von Eberhard Löblich
Magdeburg (taz) – „Gute Frage, die nächste bitte“ – die Verhandlungsführerin von Bündnis 90/Die Grünen bei den Koalitionsverhandlungen in Sachsen-Anhalt, Heidrun Heidecke, möchte sich lieber nicht in die Karten gucken lassen, wenn es um die Inhalte der seit vier Tagen laufenden Koalitionsverhandlungen geht. Auch wenn Rot und Grün vor Beginn ihrer Verhandlungen „eine neue Offenheit“ angekündigt hatten, gibt's seit Tagen zur mittäglichen Pressekonferenz überwiegend Aufgewärmtes – und auch das nur häppchenweise.
Schon seit dem ersten Verhandlungstag erfahren Journalisten täglich viel vom „hohen Maß an Gemeinsamkeiten“, wenig von Inhalten und gar nichts von den Streitpunkten zwischen Rot und Grün. Zwei Dissenspunkte gebe es durchschnittlich in den elf Verhandlungsgruppen, war Heidecke gestern immerhin bereit zuzugeben. Welche das sind, ließ sie offen.
Ein Stein des Anstoßes, so sickerte mittlerweile jedoch durch, ist der Verfassungsschutz. Dessen Notwendigkeit wird von der SPD bejaht. Eigentlich möchten die Sozialdemokraten nur ungern an der Struktur des Landesamtes für Verfassungsschutz kratzen. Die Bündnisgrünen sehen dagegen zwar ein, daß Sachsen-Anhalt wegen der bestehenden Gesetzeslage dazu gezwungen ist, ein solches Landesamt zu unterhalten. „Aber das Amt könnte ja auch bloß aus dem Leiter und einer Schreibkraft bestehen“, befand der bündnisgrüne Fraktionschef Hans-Jochen Tschiche schon zu Oppositionszeiten ein ums andere Mal.
Auch bei der künftigen Struktur der Kommunalverwaltungen gibt es noch Streit. Die SPD bevorzugt das klassisch sozialdemokratische Modell der kommunalen Zentralisierung, die kleinen Partner wollen das bisherige System der Verwaltungsgemeinschaften beibehalten und den Mitgliedern dieser Gemeinschaften mehr Entscheidungs- und Mitspracherechte einräumen.
Unterschiedliche Ansichten dürften auch bei der Zukunft der Chlorchemie in Sachsen-Anhalt existieren. Die Bündnisgrünen fordern schon seit Jahren den sofortigen und rigorosen Ausstieg. Die Sozialdemokraten haben aber nicht nur den Geschäftsführer des Landesverbandes Chemie Ost, Volkhardt Uhlig, als Wirtschaftsminister in ihr vorläufiges Schattenkabinett gerufen, sondern auch die Buna-Betriebsratsvorsitzende Ingrid Häußler als Sozialministerin. Beide werden den Genossen regelmäßig ins Verhandlungspapier diktieren, wie wichtig die Chlorchemie gerade für die bedrohten Chemiestandorte Buna und Bitterfeld ist.
Einig sind sich die Verhandlungspartner dagegen offensichtlich, wenn es um die Schließung des Endlagers Morsleben geht. Wie sie dies bewerkstelligen wollen, verschweigen sie weiterhin hartnäckig. Juristen beider Seiten haben angeblich ein Stratgiepapier erarbeitet, dessen Inhalte aber nicht in den Koalitionsvertrag aufgenommen, sondern Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU) präsentiert werden sollen. Eine künftige bündnisgrüne Umweltministerin, die vermutlich Heidrun Heidecke heißt, wäre nicht die erste, die mit dem Ausstieg aus der Atomenergie an den atomrechtlichen Weisungen ihres Bonner CDU-Kollegen scheiterte.
Fest steht bislang lediglich ein Schwerpunkt in der Wirtschaftspolitik. Da wollen sich Rote und Grüne verstärkt den kleinen und mittleren Betrieben zuwenden und ihnen mit einem Eigenkapitalhilfe- Programm in Höhe von 200 Millionen Mark unter die Arme greifen. Das Programm soll von einer Bank verwaltet und sich als revolvierender Fonds wie weiland der Marshallplan nicht nur selbst tragen, sondern durch Zins und Tilgung auch ganz von alleine wachsen.
Gestern stand auf dem Programm der Koalitionsverhandlungen die Struktur der künftigen Landesregierung zur Debatte. Das erste Resultat: Ein eigenständiges Wissenschaftsministerium wird es künftig nicht mehr geben. Dies erklärte der designierte Regierungschef Reinhard Höppner (SPD). Unklar ist dagegen noch, ob es das von den Bündnisgrünen geforderte Super-Umweltministerium mit weitreichenden Kompetenzen auch in der Raumordnungs-, Strukturplanungs-, Verkehrs- und Energiepolitik geben wird.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen