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Von der Streetgang zur Sozialarbeit

Die „Barbaren“ planen erstes Selbsthilfeprojekt türkischer Jugendlicher in Berlin / Treff 62 soll im Oktober in Schöneberg öffnen, doch der Umbau geht nur stockend voran  ■ Von Sabine am Orde

Ismail und Esref sind sauer. Seit Mitte Mai arbeiten sie in ihrer Freizeit in der Schöneberger Katzlerstraße, reißen Wände ein, schlagen losen Putz weg, entfernen Tapeten und Fliesen. Trotzdem geht das Bauen nur langsam voran. Dabei sollte der „Treff 62“, das erste Selbsthilfeprojekt türkischer Jugendlicher in Berlin, längst fertig sein. Statt sich weiterhin mit anderen Streetgangs Schlägereien zu liefern, wollten Ismail, Esref und andere „Barbaren“ schon im vergangenen Jahr damit beginnen, den Nachwuchs von der Straße zu holen. „Denn wenn man auf der Straße aufwächst, dann baut man irgendwann Scheiße“, weiß Esref aus eigener Erfahrung.

„Früher waren wir eher Einzelgänger“, sagt der 22jährige Ismail. „Aber nachdem zwei von uns von einer Kreuzberger Gang verprügelt worden sind, haben wir uns zusammengetan.“ Bei der nächsten Schlägerei waren die Jungs aus dem Kiez zwischen Yorckbrücken und Sozialpalast die Sieger. „Die Barbaren“ nannten sie sich nun, und der Name machte die Runde. Immer mehr Jugendliche schlossen sich ihnen an, einzelne, aber auch ganze Gruppen aus verschiedenen Stadtteilen. 200 Jugendliche zwischen 15 und 25 gehörten schließlich dazu, meist türkische, aber auch deutsche und arabische Jungs. Die Mädchen blieben schnell weg. Die Schlägereien gingen weiter, zur Körperverletzung kam bei einigen Auto- oder Automatenknacken hinzu. „Zwei Drittel von ihnen haben Kontakt zur Polizei gehabt“, sagt Philipp Strube, der als Streetworker beim Verein Gangway die „Barbaren“ seit Jahren kennt, vorsichtig. Doch auch er sieht für die Jugendlichen in diesem Kiez die große Gefahr, in Kriminalität abzurutschen.

Hier im Norden Schönebergs sind die Wohnungen klein, die Arbeitslosigkeit ist hoch. Viele der „Barbaren“ verbrachten ihre Kindheit auf der Straße in der Nähe der Potse, lernten Diebstahl, Drogen und Strich früh kennen. Spielplätze und Jugendtreffs gibt es hier kaum, nur Spielhallen, Zockercafés und Bars. Doch die kosten Geld, und das ist knapp. „Also haben wir auf der Straße rumgehangen“, sagt Ismail, „bis die Leute von ,Gangway‘ Kontakt zu uns aufgenommen haben.“ Am Anfang hatten die drei Streetworker einen schweren Stand: „Wir waren skeptisch und dachten, die würden mit der Polizei zusammenarbeiten“, erinnert sich der 26jährige Esref.

Der Tod von Mete Ekși rüttelte die Alt-Barbaren, wie sie sich ab 18 nennen, auf: Der 19jährige starb im November 91 an den Folgen einer Schlägerei, bei der ein Deutscher ihn mit einem Baseballschläger, der jedoch einem Freund Mete Ekșis gehörte, am Kopf schwer verletzte. Die Zweifel an ihrem Leben auf der Straße wurden größer: „Ich wollte mir nicht das ganze Leben versauen“, sagt Ismail, der inzwischen eine Malerlehre macht. Gemeinsam mit „Gangway“ entstand die Idee eines selbstorganisierten Jugendcafés, die Lauferei begann.

Nach langem Suchen entdeckten die Jungs einen geeigneten freien Laden in einem Sanierungsobjekt der Wohnungsbaugesellschaft WIR in der Katzlerstraße und bekamen ihn nach Verhandlungen auch. In den fünf Räumen soll es ein Café, Disco und Fitnessraum und auch ein Zimmer nur für Mädchen geben. Die Barbaren wollen hier über Drogen und Kriminalität, Ausländerrecht und Arbeitslosigkeit reden, Streetdance und Airbrush, Selbstverteidigung und Hausaufgabenhilfe anbieten. Doch vorher mußte Geld her. Unterstützt von der Schöneberger Ausländerbeauftragten Emine Demirbüken, gründeten 32 der „Alt-Barbaren“ einen Verein, sprachen mit PolitikerInnen, stellten Anträge. Mit Erfolg: Sozial- und Jugendverwaltung teilen sich die Anschubfinanzierung des Treffs und bezahlen auch die drei SozialarbeiterInnen, die die „Barbaren“ zu ihrer Unterstützung eingestellt haben. Wie die Finanzierung im kommenden Jahr weitergeht, ist unklar. Doch auch der Bezirk ist froh über die Eigeninitiative der türkischen Jungs und würde sie fördern: „Es wird auf jeden Fall weitergehen“, versichert Rainer Thamm, amtierender Jugendreferent in Schöneberg.

Die „Barbaren“ werden langsam ungeduldig. Der Glaube an das Projekt wackelt, die Kerngruppe ist stark geschrumpft. Ismail: „Aber alle fragen nach dem Treff und würden kommen, wenn er fertig ist.“ Mitte Mai begann dann endlich der Umbau, bei dem die Jugendlichen zwecks Kostendämpfung die Vorarbeiten übernehmen. Doch die Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für Stadtentwicklung (GSE), die für WIR den Umbau ausführt, ist schwierig. „Tatsache ist, daß der Baufortschritt weiter sein könnte“, sagt Günter Gieseler von WIR vermittelnd. Doch er ist sich sicher: „Noch kann der Zeitplan eingehalten werden.“ Im Oktober könnte der Treff 62 seine Türen öffnen und Signalwirkung haben, denn ausländische Jugendliche aus anderen Bezirken beäugen neugierig die Fortschritte des Projekts.

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