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170 Abschiebehäftlinge teilen sich 24 Rasierer

■ Kruppstraße: Hungerstreik geht weiter / Sondersitzung in der Innenverwaltung

Der Hungerstreik und die Bedingungen im Abschiebeknast Kruppstraße waren gestern nachmittag Thema einer Sondersitzung im Hause des Innensenators. An dem Gespräch nahmen Innenstaatssekretär Armin Jäger, die Ausländerbeauftragte Barbara John (beide CDU) und Abgeordnete aller Fraktionen teil. Ein Ergebnis lag bis Redaktionsschluß nicht vor. Wie berichtet, verweigern in der Kruppstraße seit letzter Woche über 40 Insassen aus Protest gegen die zum Teil unzumutbare Haftsituation die Nahrungsaufnahme. In einem umfassenden Katalog fordern sie nicht nur bessere Betreuung und Versorgung, sondern auch faire Gerichtsverfahren. Ein einziger Richter bescheide im Dreiminutentakt sämtliche Haftanträge der Ausländerbehörde, heißt es. Den Betroffenen stünden weder Rechtsbeistand noch Dolmetscher zur Verfügung.

Der für die Abschiebehaft zuständige Polizeidirektor Ralf Niewind behauptete dagegen, die Häftlinge würden sich bei dem Hungerstreik abwechseln. Zu den Forderungen sagte Niewind: „Wir haben getan, was auf die schnelle machbar war.“ Alle 170 Gefangenen hätten ab sofort täglich eine volle Stunde Hofgang. Ferner bemühe sich die Polizei um bessere Besuchsmöglichkeiten und Münztelefone. Die Elektrorasierer seien auf 24 Stück vermehrt worden.

Der in die Gothaer Straße strafverlegte Häftling Mohammed Saghir befindet sich weiterhin im Hunger- und Durststreik. Mit letzterem fordere er die Rückkehr in die Kruppstraße, erklärte Hans Wagner von der Antirassistischen Initiative gestern nach einem Besuch des Libanesen. Die Darstellung der Polizei, Saghir sei der Rädelsführer und habe andere Häftlinge in der Kruppstraße durch Androhung von Schlägen am Essen gehindert, sei falsch. Niewind erklärte dagegen, gegen Saghir läge eine Strafanzeige von mehreren Häftlingen wegen versuchter Nötigung vor. Den am Besuch der Hungerstreikenden gehinderten Grünen-Abgeordneten Ismail Kosan will der Polizeidirektor nur noch mit ausdrücklicher Genehmigung des Innensenators zu Sondervisiten in die Knäste lassen: „Wir lassen uns doch nicht in die Ecke stellen, im Abschiebegewahrsam herrschten Verhältnisse wie bei einer Miltärdiktatur“, zitierte Niewind einen in der Zeitung wiedergegebenen Ausspruch Kosans. Die Ausländerbeauftragte John kündigte vor dem Gespräch mit Innenstaatssekretär Jäger an, sich für eine Änderung des Ausreise-Modus und der Gewahrsamsordnung einsetzen zu wollen. Es dürften nicht so viele Gefangene so lange in der Abschiebhaft sitzen, „die wesentlich strenger und beengter ist als eine Strafhaft“. plu

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