■ Tip zum Trost
: Die Geburt der BRD

„Toor, Toor, Toooor für Deutschland!“ schluchzt der Radioreporter Herbert Zimmermann mit sich überschlagender Stimme ins Mikrofon. Ach, war das ein Tag. 1954. WM-Endspiel im Wankdorfstadion in Bern. Deutschland gewinnt nach 0:2 Rückstand 3:2 gegen Ungarn. Die Zuschauer im Stadion reißen freudetrunken die Filzhüte von der Brillantine, die Kopftücher der Damen flattern im Begeisterungssturm, unter massiven Hornbrillen öffnen sich Münder zu Schreien der Begeisterung. Das Trauma des verlorenen Krieges verliert im ersten zivilen Sieg an Schmerzlichkeit. Eine Nation steht auf. „Wir sind wieder wer.“ Fußball als nationaler Zeugungsakt. Damals in Bern wurde die Bundesrepublik, die am vergangenen Sonntag in New York aus dem Viertelfinale flog, erst wirklich gegründet.

Das ist die schlagende These, die Petra Höfer und Freddie Röckenhaus in ihrem TV-Film verfolgen. 40 Jahre nach dem fußballerischen Urknall machen sich die beiden auf die Spurensuche. In Baden-Baden treffen sich die alten Kicker („unsere tapferen Jungs in weißem Jersey und schwarzen Hosen“) zum Revival: soignierte Herren mit lichten Haaren. Kanzler Kohl kommt vorbei und erzählt, wie er damals mit seiner Freundin Hannelore zu einem Freund mit Fernseher gegangen ist, nur um das Endspiel zu sehen.

Momentaufnahmen aus einem historischen Puzzle. Virtuos montieren die AutorInnen Interviews und alte Wochenschaubilder mit den Film- und Radiodokumenten vom Berner Finale. Das Ergebnis ist ein hinreißendes TV-Stück über Deutschland, Deutschsein und den Fußball. Ignatz Bubis erzählt, wie sein Freund Bundestrainer Helmut Schön neben ihm auf der Tribüne „Deutschland, Deutschland über alles“ sang und warum Bubis das verstehen kann. Hans Mommsen erläutert noch mal, wie unhistorisch das deutsche Bewußtsein ist. Und Werner Schneyder verlangt eine Fußballfestwoche und „Gratisfußbälle für alle“. Außerdem gibt's Verbaldribbling von Hans Jochen Vogel, Henry Kissinger und Tony Marshall. Ein Film, packender als jedes Endspiel.

„Wir Weltmeister!“, heute, 21 Uhr, N3; außerdem am 16. Juli, 14.15 Uhr, West 3