: Populisten ersetzen Kommunisten
Vielerorts in Osteuropa – wie jetzt in Weißrußland – sind unberechenbare neue Kräfte auf dem Vormarsch / Mit nationalistischen Tönen stoßen sie in ein ideologisches Vakuum vor ■ Von Klaus Bachmann
Aleksander Lukaschenko hat Glück gehabt. Nach den ersten inoffiziellen Ergebnissen konnte er bei den Wahlen am Sonntag in Weißrußland 80 Prozent der Stimmen auf sich vereinen, sein Gegenkandidat, der bisherige Ministerpräsident Wjatscheslaw Kebitsch dagegen weniger als 20 Prozent. Glück hatte der ehemalige Geschichtslehrer vor allem deshalb, weil ihm der polnische, aus Kanada kommende Adlige Aleksander Pruszynski die Stimmen nicht streitig machen konnte. Beider Programme waren ungefähr gleich diffus und undurchsichtig, beide kamen aus dem Nichts und versprachen ihren WählerInnen dafür um so mehr. Nur daß Pruszynski noch vor den Wahlen eingesperrt und deportiert worden war und auch gar nicht die weißrussische Staatsbürgerschaft besitzt.
Die Furcht, in Osteuropa kehre der Kommunismus zurück, hat sich gelegt, seit klar ist, daß sich die ex-kommunistischen Linksparteien in Polen, Litauen und Ungarn an die demokratischen und marktwirtschaftlichen Spielregeln halten. In Weißrußland ist nun eine neue Furcht dazugekommen: Populisten ersetzen Kommunisten – und sind viel weniger berechenbar als diese. In der Slowakei wurde Ex-Boxer und Premierminister Mečiar zwar inzwischen abgesetzt, doch politisch am Ende ist er damit nicht. In Polen erschien vor drei Jahren der unbekannte kanadisch-polnische Emigrant Stanislaw Tyminski und fegte bei den Präsidentschaftswahlen Premier Mazowiecki aus dem Rennen.
Osteuropas Populisten haben fast alle eines gemein: Sie entstammen der mittleren Ebene der kommunistischen Nomenklatura, haben also politische Erfahrung sammeln können, ohne an vorderster Stelle zu stehen und deshalb belastet zu sein. So war es auch bei den ukrainischen Präsidentschaftskandidaten Waleri Babitsch, einem ehemals führenden Komsomolzen, der zum Chef des größten ukrainischen Finanzkonzerns aufstieg und im Wahlkampf plötzlich sein Herz fürs Soziale und die orthodoxe Kirche entdeckte, und bei Iwan Pluszcz, dem ex-kommunistischen Ex-Parlamentschef, der sich im Wahlkampf mit Nationalisten und Antisemiten verbündete. Beide landeten abgeschlagen auf den hintersten Plätzen im ersten Wahlgang. In der Ukraine überwiegt die Auffassung, soziale und wirtschaftliche Reformen kämen erst nach dem Aufbau eines unabhängigen Staates. Erst danach werden Populisten eine Chance bekommen. Polens Stanislaw Tyminski tauchte erst auf, als sich die demokratischen Institutionen schon einigermaßen gefestigt hatten.
Daß Populisten wie Schirinowski, Tyminski und Mečiar mit nationalistischen Tönen Unterstützung gewinnen, kommt nicht von ungefähr: Der Zusammenbruch der kommunistischen Ideologie hat zu einem ideellen Vakuum geführt, daß nicht alle Staaten mit nationalem oder liberalem Gedankengut auffüllen können.
Im Westen der Ukraine funktioniert das noch, denn dort sind nationale Traditionen stark verankert. Anders in Weißrußland: Dort gibt es kaum staatliche und nationale Traditionen, die Mehrzahl der Bevölkerung ist sich selbst nicht über Muttersprache und nationale Herkunft im klaren. Weißrußlands Intelligenz litt gleich dreifach: Erst wurde sie von der deutschen Besatzung im Krieg, dann von den Sowjets nach dem Krieg dezimiert, wer das überlebte, unterlag in 50 Jahren Sowjetherrschaft der Russifizierung. Ein großer Teil der weißrussischen Intelligenz war vorher schon litaunisiert und polonisiert worden. Heute ist Weißrußland ein Arbeiter- und Bauernstaat ohne demokratische Traditionen und mit schwach entwickelter politischer Kultur.
Davon abgesehen war die Wahl ein Protest: So wie bisher sollte es nicht weitergehen. Die Ansicht, alles werde sich richten, wenn nur jemand Schluß mache mit der Korruption, war auch zu Gorbatschows Zeiten schon verbreitet. Heute gibt es in Minsk Glasnost mit gebremstem Schaum, die Perestroika steht noch am Anfang.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen