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„Nährboden für eine Verlängerung des Konflikts“

■ Seit einigen Tagen werden im Bundesstaat Chiapas „widerrechtlich“ besetzte Ländereien auf Druck der Viehzüchter von der Polizei gewaltsam geräumt

Seit Dienstag letzter Woche werden in Chiapas „widerrechtlich“ besetzte Ländereien von der Polizei gewaltsam geräumt. Innerhalb von 30 Tagen sollen zunächst 39 Ranchos an ihre „rechtmäßigen“ Besitzer, die das Land zum Großteil als Viehweide nutzen, zurückgegeben werden. Die meisten der Grundstücke, die in den ersten Tagen von den Polizeiaktionen betroffen waren, waren von den Besetzern schon vorab verlassen worden. Allerdings „nicht freiwillig“, wie Sprecher der unabhängigen Organisation CIOAC gegenüber der Presse klarstellten, sondern „wegen der drohenden Repression“.

„Widerrechtlich“ ist im heutigen Chiapas ein dehnbarer Begriff. Gemeint sind damit zunächst nur diejenigen Ranchos, die nach dem 14. April – dem Stichtag einer Vereinbarung zwischen der Landesregierung und dem oppositionellen Bauern- und Indianerverband CEOIC – besetzt worden waren. Der CEOIC hatte sich verpflichtet, seine Mitglieder nach diesem Datum nicht mehr zu Landbesetzungen zu ermuntern. Im Gegenzug versprach der chiapanekische Regierungschef, Gouverneur Javier López Moreno, für die vor diesem Zeitpunkt besetzten Ländereien – nach Schätzungen der CEOIC über 300 mit insgesamt an die 100.000 Hektar – eine „für alle Seiten befriedigende Lösung“. Wie allerdings López Moreno die Forderungen der Bauern- und Indianerorganisationen mit denen der Viehzüchter in Übereinstimmung bringen will, ist bislang sein Geheimnis geblieben.

Letztere greifen in ihrer „Verzweiflung“ immer öfter zu den bewährten Mitteln zivilen Ungehorsams. So sind seit dem 23. Juni zwei Viehzüchter-Ehefrauen vor dem Regierungspalast in der Landeshauptstadt Tuxtla Gutierrez im Hungerstreik, Menschenketten und Platzbesetzungen werden organisiert. Gerne sähen die Viehzüchter außerdem, daß ihre besetzten Wiesen von Armeesoldaten wieder freigeräumt würden. Einen Einsatz des Militärs hatte López Moreno allerdings von vornherein ausgeschlossen, schließlich handele es sich hier nicht um Fragen der inneren Sicherheit, sondern nur um „ein paar Stücke Land“.

Unbeliebt hatte sich der rührige Gouverneur bei der lokalen Viehzüchterfraktion auch gemacht, als er vor kurzem überraschend großes Verständnis für die zapatistischen „Unruhestifter“ zeigte: „Der Frieden ist uns hier abhandengekommen, als wir einen Großteil der Bevölkerung wie Vieh behandelt haben. Die EZLN ist nicht die Ursache des Unrechts, das wir hier sehen, sie hat es nur ans Licht gebracht.“ Daß er sich trotzdem dem Druck der Viehzüchter gebeugt hat, wird selbst von PRI-Abgeordneten und Mitgliedern der staatlichen „Kommission für Indianische Angelegenheiten“ kritisiert. Die Räumungsentscheidung bereite den „Nährboden für eine Verlängerung des gewalttätigen Konflikts“; in jedem Fall sei der Dialog der Gewalt vorzuziehen.

Der CEOIC setzt nach den Worten seiner Sprecher dagegen weiterhin auf die „Macht der Vernunft“. Zwar seien vom eigenen Verband tatsächlich keine Besetzungen nach dem vereinbarten Stichtag durchgeführt worden. Dennoch wolle man auch für die räumungsbedrohten Besetzer, die nicht dem CEOIC angehören, eine „Verhandlungslösung“ durchsetzen. In einem Schreiben an die Landesregierung fordert der Verband, in dem rund 280 Indianer- und Bauernorganisationen zusammengeschlossen sind, daß vor einer Räumung die „wirtschaftliche Notlage“ der Besetzer geprüft werde. Außerdem sollen in künftigen Agrarerhebungen versteckter Großgrundbesitz (Latifundien) sowie brachliegende Felder aufgedeckt werden, um so einen Spielraum für die Verteilung von Land an die landlosen Arbeiter (Campesinos) zu gewinnen.

Nach einer Studie des Wirtschaftsinstituts der Nationaluniversität wird ein Drittel der Agrarfläche von Chiapas nicht zum arbeitsintensiven Anbau von Mais, Bohnen oder Kaffee, sondern nur als Viehweide genutzt. Es werde letztlich, so die Schlußfolgerung des Instituts, mehr Land zur Viehfutterproduktion als zur Ernährung der Armen genutzt. Nicht nur die getarnten Latifundien, die oftmals als Parzellen an Familienmitglieder verteilt erscheinen, sondern auch die legale Bodenkonzentration, das sogenannte „soziale Latifundium“, sei ein großes Problem: Nach der Studie besitzen 6.000 Viehzüchterfamilien mit über drei Millionen Hektar Land fast genauso viel wie die rund 200.000 in Dorfgemeinschaften wirtschaftenden Bauern der Region.

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