: Heimlich und mit schlechtem Gewissen gehört
■ Nach 49 Jahren stellt der Soldatensender AFN jetzt seinen Betrieb in Berlin ein
„It's 12 o'clock in Central Europe“ heißt es noch bis zum 15. Juli. Dann stellt AFN Berlin nach 49 Jahren seinen Sendebetrieb ein. Am selben Tag verstummt auch der britische Soldatensender BFBS. Ja, er wird mir fehlen, der US-amerikanische Soldatensender American Forces Network, der AFN Berlin, der mir in seinem breiten Ami-Englisch immer klargemacht hat, daß wir hier in Mitteleuropa und nicht in Westeuropa leben.
Aus für die täglichen Hinweise auf die aktuellen Wechselkurse für den US-Dollar und die gute Musik, keine Berichte mehr über die Spiele der US-Football-Liga! Seit 1945 hatte der amerikanische Sender nicht nur die Soldaten und ihre Familien mit Musik und Nachrichten versorgt. Auch Berliner RadiohörerInnen in Ost und West waren Zaungäste der US-Gesellschaft in Zentraleuropa, denn der Sender vermittelte mit seiner Musik auch eins: ein Gefühl von Weltläufigkeit und Weite. Es war ein leichter und unschuldiger „american way of life“.
Die Enge der eingemauerten Halbstadt West-Berlin konnte man mit Hilfe der Musik verlassen. AFN Berlin war der Musiksender Berlins von den Fünfzigern bis zu den frühen Achtzigern. Kein Flohmarkt, auf dem zwecks Verkaufsförderung die mitgebrachten Radios auf die UKW-Frequenz 87,6 MHz des AFN nicht eingestellt gewesen wären. Erst als die Privatradios zugelassen wurden, bröckelte die öffentliche Einschaltquote für die Amis. 36 Leute machen heute noch das Programm. Es sind täglich zwei dreistündige Sendungen mit Informationen für die Soldaten und mit sehr viel Musik. Der Rest des Programms wird von AFN Frankfurt am Main übernommen. Als Gäste hatte der AFN nicht nur Popstars im Studio. Bei ihren Berlin-Besuchen kamen auch die US- Präsidenten John F. Kennedy, Jimmy Carter und Ronald Reagan vorbei.
Manche und mancher wird den Sender, wenn nicht heimlich, so doch wenigstens mit schlechtem Gewissen gehört haben. Schließlich machte der AFN Musik für die kurzgeschorenen US-Boys, die in Vietnam gegen eine Befreiungsarmee kämpften, die die karibische Insel Grenada besetzten und die in Berlin zuweilen mit Militärjeep und aufgesetztem Maschinengewehr durch die Stadt preschten, um nach außen zu dokumentieren, wer hier im Ernstfall das Sagen hat. Von Demonstrationen gegen die US-Politik vor dem AFN-Rundfunkgebäude in der Dahlemer Saargemünder Straße ist allerdings nichts bekannt. Auch dies ist vielleicht ein Zeichen dafür, daß dieser Sender wohlwollender betrachtet wurde als zahlreiche andere Auswirkungen US-amerikanischer Politik und Kultur in West-Berlin.
Was macht nun den Reiz des Programms aus? Es ist der allzeit frische Geradeaus-Rock, gepaart mit sentimentalen Einlagen US- amerikanischer Musikgruppen, wobei im Programm sowohl die aktuelle Musik wie auch altehrwürdige Oldies ihren Platz haben. Und dankenswerterweise sagt der Diskjockey Sergeant XY auch, was und welche Gruppe er gerade gespielt hat. Die Unterbrechungen durch praktische Hinweise aller Art, die in Werbespotmanier produziert werden, stören dann nicht weiter. Man kann sie als amerikanische Folklore verbuchen. Offensichtlich sollen die HörerInnen in Berlin keine Entzugserscheinungen bekommen, wenn ihnen die in den USA allgegenwärtigen Radio- und Fernsehwerbespots fehlen. Also fordern poppige sogenannte Jingles die US-Hausfrauen auf, sich bei folgender „Berlin military number“ zum nächsten Ausflug anzumelden oder gesund zu essen.
Die Berliner Nachkriegszeit ist jetzt wirklich zu Ende. Vor fünf Jahren fiel die Mauer. Jetzt verschwindet auch die dazugehörige Begleitmusik in US-amerikanischer Version. Der Sender verabschiedet sich am 15. und 16. Juli mit einem Rückblickprogramm von 10 Uhr morgens bis 1 Uhr nachts. Dann wird das Programm auf AFN Frankfurt umgeschaltet, das bis zum Herbst auf UKW und – wie schon bisher – auf Mittelwelle 1107 kHz zu empfangen ist. Danach verstummt der AFN in Berlin völlig. Nicht nur ein Stück Militärgeschichte geht zu Ende, sondern auch ein Stück Berliner Popkultur ist dann endgültig vorbei. Jürgen Karwelat
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