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Ruanda – ein geteiltes Land

Im Nordwesten Ruandas rückt die Rebellenorganisation RPF weiter gegen die Reste der früheren Regierungstruppen vor / Frankreich richtet sich derweil in seiner „Schutzzone“ ein  ■ Von Dominic Johnson

Berlin (taz) – In Ruanda bahnt sich womöglich die letzte Kriegsentscheidung an. Die Truppen der „Ruandischen Patriotischen Front“ (RPF), die bereits zwei Drittel des zentralafrikanischen Landes inklusive der Hauptstadt Kigali kontrollieren, marschieren immer tiefer in den gebirgigen Nordwesten des Landes hinein – die letzte Region, die noch unter Kontrolle der Anhänger des am 6. April ermordeten Präsidenten Juvenal Habyarimana und seiner für ungezählte Massenmorde verantwortlichen Milizen steht. Die Stadt Gisenyi, wo sich die ruandische „Interimsregierung“ aufhält, steht ebenso wie die benachbarte Stadt Ruhengeri kurz vor dem Fall – das geben sogar die dort residierenden Minister zu.

Die rasch vorrückende Front hat Hunderttausende von Menschen entwurzelt. 500.000 Menschen sind nach einer Schätzung der Hilfsorganisation Oxfam auf der Straße von Kigali nach Gisenyi unterwegs. „Sie sind nicht organisiert“, sagt Ian Bray von Oxfam. „Sie laufen einfach die Straßen entlang und versuchen, von der Frontlinie wegzukommen.“ Wie Gisenyi, dessen Bevölkerung schon von 50.000 auf 300.000 angewachsen ist, damit fertigwerden soll, weiß keiner. Und wie die RPF diese Region jemals kontrollieren will, in der sich die treuesten Anhänger Habyarimanas und die fanatischsten Tutsi-Hasser Ruandas versammelt haben, steht ebenso in den Sternen. Zwar müssen die Hunderttausenden fliehenden Hutus, die meinen, ihr Leben vor der Tutsi-dominierten RPF retten zu müssen, keine Massenmorde seitens der Rebellen fürchten. Doch die von den Habyarimana-Anhängern in Gisenyi verbreiteten Greuelgeschichten über die RPF üben großen Einfluß aus. Auf Vertrauen kann die RPF in Nordwest- Ruanda nicht hoffen.

Die 2.500 französischen Soldaten in Ruanda schauen derweil zu und begnügen sich mit der Aufnahme jener Flüchtlinge, die südwestwärts in die von Paris deklarierte „Schutzzone“ – einem Dreieck zwischen Cyangugu, Kibuye und Gikongoro – gelangen. Offenbar richtet sich Frankreich auf den vollständigen Sieg der RPF über die verbliebenen Regierungstruppen ein. Hat also Frankreich seine ehemaligen Schützlinge fallengelassen? Einige in Pariser Medien zitierte Militärs sind dieser Ansicht: Indem man den Südwesten ruhig halte, habe die RPF im Nordwesten freie Hand.

Wohl nicht ganz zufällig rücken Regierungsmilitärs im französisch besetzten Gebiet bereits von ihren noch kämpfenden Kollegen ab. Neun hohe Offiziere in der „Schutzzone“, darunter der letzte Generalstabschef Lenodas Rusatira, forderten vergangene Woche in einer „Erklärung von Kigeme“ ein internationales Kriegsverbrechertribunal gegen ihre Kollegen in Gisenyi und riefen die dortigen Regierungssoldaten zur Meuterei auf. Und französische Truppen sollen bereits diskret damit begonnen haben, die in ihrer Zone befindlichen regierungstreuen Milizen zu entwaffnen.

Es bahnt sich also eine Zweiteilung Ruandas an: Ein großes RPF- beherrschtes Gebiet und eine kleine von Franzosen und später von der UNO kontrollierte „Schutzzone“, wo die versprengten Reste der geschlagenen Regierung vorerst Aufnahme finden können; wenn sie Glück haben, kommen sie ins Exil, wenn nicht, vor Gericht. Die Franzosen werden, wie Verteidigungsminister Leotard gestern bekräftigte, Ende Juli mit dem Truppenabzug beginnen und „schrittweise“ das Feld für eine erweiterte UNO-Truppe freimachen. Die RPF fordert zwar weiterhin einen Abschluß des französischen Abzugs bis Ende Juli und kritisiert, in der „Schutzzone“ würden die Franzosen „Mörder“ schützen und „Geiseln“ halten; sie kann jedoch nun von Frankreich ungestört in Kigali eine Mehrparteienregierung bilden, in der sie selbst den Präsidenten stellen wird.

Auf der Landkarte mag all dies elegant aussehen. Doch lösen sich damit nicht alle Probleme. Ruanda ist ein Trümmerfeld. Der Aufenthalt von zwei Millionen Ruandern ist der UNO unbekannt. Bis zu drei Millionen – von einer Vorkriegsbevölkerung von 7,5 Millionen – irren im Lande umher, unzählige sind im Ausland. Ihre Versorgung wird in den kommenden Monaten das Hauptproblem des internationalen Ruanda-Engagements sein.

Ebenso ungeklärt ist noch die Frage, was mit den Verantwortlichen für den Völkermord der letzten Monate geschieht. Daß viele von ihnen möglicherweise in der französischen „Schutzzone“ Schutz vor der nächsten ruandischen Regierung finden, droht zu einem ernsten Konfliktpunkt zu werden. Offiziell will die UNO irgendwann ein Kriegsverbrechertribunal veranstalten, und Kirchen und Menschenrechtsorganisationen sammeln unter Flüchtlingen und Überlebenden fleißig Zeugenaussagen – doch konkrete Schritte gibt es bisher nicht. Die Täter lassen sich derweil in Flüchtlingslagern versorgen: Mehrere Hilfsorganisationen im tansanischen Benaco, wo 350.000 Ruander leben, haben bereits bei der UN-Flüchtlingsbehörde UNHCR über die Anwesenheit bekannter Mörder Klage geführt.

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