: Zynische Gefühlsschlacht
■ Die Freie Gruppe „Theater 93“ zeigt ihre Version einer Medea
Was tut Medea nicht alles für Jason, den Mann, den sie liebt. Sie verläßt ihren Vater, um den Held zu heiraten, stiehlt das Goldene Vlies für ihn und tötet den eigenen Bruder. Doch alle Liebesschwüre sind vergebens. Er betrügt sie schon bald nach Strich und Faden mit einer jüngeren Frau und treibt Medea in ihrer Verzweiflung an den Rand des Wahnsinns. Die Freie Gruppe Theater 93 hat sich bei ihrer Inszenierung der Medea „nach Euripides als Kinderspiel“ ganz auf die Beziehung von Medea und Jason konzentriert. Von den gemeinsamen Kinder zeugen nur ein paar verlassene Spielzeuge auf der Bühne in der Galerie Morgenland.
Freitod oder Rache? Medea (Julia Stefanie Schmidt) wird von Jasons (Wolf Martens) Demütigungen so erniedrigt und in uferlosen Zorn getrieben, daß sie eine andere Entscheidung trifft: Sie ermordet die verhaßte Liebhaberin mit Gift, um ihm, wie er ihr, das Herz zu brechen. „Ich mußte dich treffen: mitten ins Herz. So hast du es verdient.“ Ihre Rache ist jedoch erst perfekt, nachdem sie auch ihre Kinder umbringt.
Alt ist die Geschichte, zeitgenössisch die Erzählweise auf der winzigen, extra für diese Gelegenheit hier installierten Bühne. Der Chor des klassischen Dramas wird zum Pausenclown , der gehässig das Geschehen kommentiert. Jason ignoriert Medea. Er löffelt sein Abendbrot direkt in ihr Gesicht. Mais fliegt. Vier Cassettenrecorder quäken von den Lügen und leeren Versprechungen einer Ehe, während der blonde Jason nach Sauberkeit und Ordnung schreit.
Medea, unzählige Male verprügelt und bespuckt, wird zur zynischen Ehefrau, die nur eine Stoffhäsin als Verbündete hat. Doch die Situation ist auswegslos: Sie muß für sie oder für ihre Kinder mit dem Tod enden. Am Ende ist Medea die Gewinnerin über den Mann, über den Staat und die spottenden Freunde, aber der Preis ist hoch. Die toten Kinder sind stumme Opfer, Medea zugleich Klägerin und Angeklagte, die sich nur einen entscheidenden Fehler ihrer Jugend vorwirft: die Heirat.
Julia Stefanie Schmidt spielt die Medea mit einer Mischung aus kindlichem Charme und erwachsenem Zynismus mit großer Überzeugungskraft. Als kalten und völlig gleichgültigen Macho verkörpert Wolf Martens den Jason. Überzeugend zelebrieren sie ihre Haßliebe in einem beklemmenden Stück.
Katharina Frier
14. bis 17. Juli, Galerie Morgenland, Sillemstraße 79, 20.30 Uhr, Karten: 6902449
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