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Trüffelsuche statt Nostalgie

■ Der Architekt Steven Holl zeigt die reichen Möglichkeiten einer ortsbezogenen Architektur

Der Streit um den genius loci hat in Hamburg oft neurotische Züge. Die zwanghafte Verwendung von Stilzitaten versunkener Epochen bei gleichzeitiger Verdrängung der veränderten gesellschaftlichen und ästhetischen Bedingungen führt in der Hansestadt meist nur zu nostalgischen Surrogaten. Um einen Eindruck davon zu erlangen, was mit einem gesunden genius loci-Axiom für originäre Architektur geleistet werden kann, müssen in regelmäßigen Abständen ausländische Architekten in die Stadt geladen werden. Ihre Ausführungen und Vorschläge werden dann stets interessiert zur Kenntnis genommen, um sie in der Praxis anschließend vollständig zu ignorieren.

Auch der Amerikaner Steven Holl hat ein außergewöhnliches Konzept zu bieten, wie man mit den Bedingungen des Ortes kreativ umgehen kann. Im Gegensatz zum hiesigen Fassaden-Eklektizismus untersucht Holl den Grund nach versteckten Spuren, bevor er aus einer tatsächlich geistigen Haltung heraus eine Architektur entwickelt, die mit dem Geist des Ortes nicht fraternisieren muß: geografische, metaphorische, philosophische und historische Bezüge werden durch Holl in einem kritischen Prozeß verwoben, bis schließlich ein Entwurf entsteht, der weniger persönliche Markenzeichen, als eine individuelle Genetik aufweist.

Allein die drei Entwürfe Holls, die momentan in der Galerie für Architektur präsentiert werden, lassen bei rein äußerlicher Betrachtung kaum das Etikett eines Architekten erkennen. Die gemeinsame Faszination bemerkt man erst, wenn man die intellektuelle Strickmaschine dahinter entdeckt. Das vielleicht gelungenste, weil außerordentlich poetische Beispiel dieser Arbeitsweise ist Holls Entwurf für einen neuen Filmpalast am Lido (1990). Seinen metaphorischen Ausgangspunkt bildete ein Foto, das die alten Hände einer italienischen Witwe im Schoß gefaltet zeigt. Von hier aus entwickelte er eine Lösung ineinander verschränkter Kinosäle, die in einen flaschenartig geformten Raum gehängt sind. Als Bezug zur städtischen Konzeption Venedigs schuf Holl darunter eine Bucht, die nur mit Boot vom Kanal zugänglich ist. Durch die Zwischenräume der gefalteten, darüber schwebenden Säle beleuchtet natürliches Licht die grottenhafte Szenerie. Leider wurde dieser Entwurf nicht realisiert.

Anders das zweite dort vorgestellte Projekt: Denn trotz einer Unterschriften-Aktion empörter Finnen, die durch den Neubau eines Museums zeitgenössischer Kunst neben einem Reiterdenkmal die nationale Ehre beschmutzt sehen, ist die Realisierung des Komplexes nach Holls Entwürfen in Helsinki noch fest geplant. Zwar zeigt sich an diesem Projekt auch die Gefahr einer Architektur, die von innen nach außen konzipiert wird, nämlich, daß durch die Verwendung ideeller Raster (hier dreier Achsen: Kultur, Natur, Stadt) der Baukörper in den Proportionen mißglückt. Die Masse des Museums, bestehend aus einem aufgeschlitzten Oberschenkel, in den ein Klotz gerammt ist, wirkt in seiner etwas ungelenken Montage durch zuviel Absichtlichkeit gefesselt. Aber hier besticht dafür die komplexe Raum-Licht-Innenwelt aus sich wie heimlich modifizierenden Galerieräumen, die den Belangen moderner Kunst folgt.

Ein „fünfarmiger“ Atelierkomplex mit im Rhein schwimmender Galerie für Düsseldorf zeigt schließlich wiederum ein völlig anderes, dem speziellen Ort weit weniger verhaftetes Gedankenkonstrukt als Grundlage einer kubischen Komposition. Hier spielt der Architekt mehr mit der Freiheit, die ihm der Ort und die Aufgabe suggerieren. Eine Freiheit, die sich Hamburg leider zu selten gönnt.

Till Briegleb

Galerie für Architektur, Münzplatz 11, bis 15. August

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