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Gesetzeslücke rettet Totalverweigerer

■ Landgericht: Innere Kündigung reicht nicht aus, um wegen „Dienstflucht“ bestraft zu werden

Eine Lücke im „Zivildienstgesetz“ (ZDG) hat den 28jährigen Bremer Jörn Ostersehlt vor einer Bestrafung wegen Totalverweigerung bewahrt. Die kleine Strafkammer VII des Landgerichts sprach den Angeklagten gestern in einem Berufungsverfahren vom Vorwurf der „Dienstflucht“ frei. Die Staatsanwaltschaft hatte sechs Monate Freiheitsstrafe auf Bewährung gefordert und will nun in die Revision gehen. Den Freispruch verdankt der Angeklagte der Tatsache, daß er zwar während seiner Zivildienstzeit den Dienst offiziell quittierte, aber trotzdem an seiner Stelle weiterarbeitete.

Im Normalfall werden Totalverweigerer von der Justiz verknackt. Grundlage dafür ist der §53 des ZDG, der bestimmt: „Wer eigenmächtig den Zivildienst verläßt oder ihm fernbleibt, (...) wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft.“ So einfach der Tatbestand formuliert ist, so verwickelt ist die Geschichte von Jörn Ostersehlt: Der hatte nach einigem Hin und Her schließlich im April 1989 seinen Zivildienst auf dem Abenteuerspielplatz Vorkampsweg in Bremen-Horn angetreten. Zum 29.Mai 1990, nach 13 Monaten Zivildienst, erklärte er aber seine Totalverweigerung, weil er auch durch den Zivildienst in die Kriegsplanung einbezogen werde: „Ich habe erfahren, daß ich auch als Zivildienstleistender konkret im Kriegsfall eingesetzt werden kann, um als Sanitäter verwundete Soldaten wieder einsatzfähig zu pflegen und für einen reibungslosen Ablauf der Versorgung im Hinterland sorgen soll. Bei einem solchen Dienst handelt es sich um nichts anderes als um Kriegsdienst, ganz gleich ob mit oder ohne Waffe.“

Soweit lief alles normal für eine typische Totalverweigerer-Karriere, an deren Ende die Verurteilung steht. Doch Ostersehlt blieb trotz der Kündigung auf seinem Posten. Mit dem Trägerverein, dem „Sozialen Friedensdienst“, schloß er einen normalen Angestelltenvertrag ab und arbeitete auf dem Spielplatz noch einige Monate über das Ende seiner eigentlichen Zivildienstzeit hinaus. Den Zivi-Sold, den ihm das Bundesamt für den Zivildienst aus Köln aufs Konto überwies, schickte er zurück. Am Ende seiner Dienstzeit wurde er mit Urkunde und Entlassungsgeld entlassen.

Doch dann merkte die Kölner Behörde, daß da ein Totalverweigerer straffrei davonkommen sollte. Es kam zum Prozeß: Das Amtsgericht in Blumenthal verurteilte Ostersehlt wegen Dienstflucht. Bei der Berufungsverhandlung argumentierte Staatsanwalt Johann-Michael Gottschalk, auch eine innere Kündigung sei strafbar: „Die formelle Fortführung der Arbeit täuscht nicht darüber hinweg, daß sich der Angeklagte gerade der Befehlsgewalt durch die Hierarchie der Behörde entzogen hat. Sein privatrechtliches Arbeitsverhältnis kann nicht mit Befehlen durchgesetzt werden, wie das Gesetz es vorsieht.“ Neben einer körperlichen gebe es auch eine psychische Dienstflucht.

Der wunde Punkt der Anklage: Der Wortlaut des Gesetzes gibt dem Verweigerer recht: Denn Ostersehlt hat seine Zivildienststelle einfach nicht „verlassen“. Das hatte in einem Verfahren gegen einen anderen Totalverweigerer auch die Staatsanwaltschaft Aurich und die Generalstaatsanwaltschaft Weser-Ems in Oldenburg gesehen und den Fall nicht zur Anklage gebracht. Denn auch der einzige Gesetzeskommentar zum ZDG sagt eindeutig: „Eigenmächtiges Verlassen ist gegeben, wenn der Dienstleistende sich räumlich aus dem Anordnungsbereich eines Vorgesetzten entfernt.“

Davon konnte im vorliegenden Fall aber nicht die Rede sein. Bei der Verurteilung nach Vorschriften des Strafgesetzbuches gilt das „Analogieverbot“: Bestraft wird nur, was ausdrücklich im Gesetz mit Strafe belegt ist. Der Verteidiger warnte vor Gericht: „Eine Verurteilung öffnet Tür und Tor zur Gesinnungsjustiz.“

Das Gericht sprach Ostersehlt frei: Der Angeklagte hat nach dem Urteilsspruch schlicht den objektiven Tatbestand nicht erfüllt. Die Staatsanwaltschaft will die Rechtsfrage, ob es sich wirklich um ein Schlupfloch für Totalverweigerer handelt, in der Revision beim Oberlandesgericht klären lassen. Bis dahin sollte sich das Bundesamt für den Zivildienst allerdings noch ein paar gute Argumente einfallen lassen. Bernhard Pötter

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