: Kindeswohl Von Klaudia Brunst
„Schreinemakers“ gucke ich manchmal ganz gern. Man erfährt so viel in so kurzer Zeit – und muß dabei nicht einmal aufstehen. Letzte Woche allerdings blieben mir die Chips förmlich im Halse stecken: Margarethe hatte mal wieder einen Skandal aufgedeckt – Nervengift in Wollteppichen!
„Was soll's“, dachte ich zuerst, schließlich hatten wir erst kürzlich die Dielen unserer Altbauwohnung abgezogen. Aber dann wurde mir doch schlagartig schlecht. Während nämlich die Betroffenen von ihren qualvollen Allergieerscheinungen berichteten – Atemnot, Hautreizungen, Konzentrationsschwächen –, kam mir plötzlich unsere Auslegware in den Blick. Fühlte ich mich nicht auch viel abgeschlaffter, seit wir uns den Ikea- Teppich „Oevelgönne“ zugelegt hatten? Hatte ich nicht schon seit längerer Zeit allmorgendlich vage Anzeichen von Atemnot, die ich leichtsinnigerweise auf meinen erhöhten Zigarettenkonsum geschoben hatte? Und dann waren da ja noch die Billy-Regale, die angeblich formaldehydverseucht sein sollen. Bisher hatten wir die Sache nicht so ernst genommen. Aber wenn wir jetzt bald ein Kind haben würden?
„Ich glaube, wir sollten uns das mit dem kleinen Hendrik doch noch mal überlegen“, grübelte ich laut vor mich hin. „In eine derart chemisch verseuchte Welt kann man doch keinen Menschen setzen.“ Beim Stichwort Nachwuchs wurde meine Lebensabschnittsbegleiterin, die vorhin neben mir in einen trügerisch tiefen Schlaf abgeglitten war, wieder hellwach. Kaum hatte sie die Informationslage sondiert, starrte auch sie voller Abscheu auf unseren teuren Wollsiegelteppich. „Da müssen wir etwas tun“, rief sie entsetzt. „Am Ende kommt Henrike schon mit Neurodermitis auf die Welt, und wir sind daran schuld.“ Mich juckte es mittlerweile derart am rechten Oberarm, daß ich am liebsten noch während der laufenden Sendung die Giftnotrufzentrale alamiert hätte. Aber meine Freundin meinte, das hätte noch Zeit. Erst müßten wir an das Kindeswohl denken und die Wohnung dekontaminieren.
Mit vereinten Kräften räumten wir alles zusammen: die Billy-Regale und das Schleiflackbett, die Auslegware und – wegen des Elektrosmogs – sicherheitshalber auch die Halogenleuchten. Die Tapeten ließen wir vorerst an den Wänden. Die Erfurter ist schließlich mit einem blauen Engel versehen.
Mit Mundschutz und in Regenkleidung entsorgten wir noch in der gleichen Nacht den Umweltmüll vor unsere Haustür. Im Keller fanden sich glücklicherweise ein paar alte Teekisten und ein reinigungsbedürftiger Flokatiteppich aus garantiert lösungsmittelfreien Tagen. Eine verblaßte Ballonlampe ersetzte vorläufig die teure Lichtanlage. Müde legten wir uns dann neben unsere Schafwollmatratze. Sicher ist sicher.
Am nächsten Morgen holte uns unsere Nachbarin sturmklingelnd aus den Schlafsäcken. „Hübsch habt Ihr's hier“, meinte sie im Vorbeigehen, „so richtig seventiesmäßig.“ Sie selbst habe übrigens auch gerade vor, sich neu einzurichten. So ein neureicher Idiot aus der Nachbarschaft hätte nämlich in der Nacht ein paar ganz tolle Möbel auf den Sperrmüll geworfen. Einen Teppich, Regale und sogar eine komplette Halogenanlage. Alles noch total gut erhalten. Ob wir wohl eben mit anfassen würden?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen