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Erste Industriepleiten in Rußland

■ Privatisierungsministerium erklärt für drei Staatsbetriebe die Zahlungsunfähigkeit / Weitere 60 Betriebe sollen folgen

Moskau/Berlin (taz/dpa/AP) – Schon seit einigen Monaten existiert im russischen Privatisierungsministerium eine Liste von Betrieben, welche die Regierung für nicht überlebensfähig hält. Gestern nun hat das Privatisierungsministerium erstmals in Rußland drei Staatsbetriebe ganz offiziell für pleite erklärt, wie die Nachrichtenagentur Interfax meldete. Nach früheren Angaben des Ministeriums werden weitere 60 Betriebe in Kürze ebenfalls die Zahlungsunfähigkeit erklären müssen.

Der zuständige Abteilungsleiter für Konkursverfahren, Jewgeni Mjagkow, kündigte an, daß einer der drei Betriebe, ein Moskauer Arzneimittelwerk, saniert werde. Ein Moskauer Zulieferunternehmen für die Atomindustrie soll hingegen liquidiert werden. Im dritten Fall sei noch nichts entschieden.

Von den Groß- und Mittelbetrieben der Industrie befindet sich noch rund ein Drittel im Eigentum des Staates. Dazu zählen die großen Rohstoff- und Energiekombinate, die Atomwirtschaft und ein Großteil der Rüstungsindustrie. Für diese Betriebe will die russische Regierung jetzt in der zweiten Stufe der Privatisierung kapitalkräftige Investoren, auch aus dem Ausland, werben. Gleichzeitig soll das Privatisierungsministerium diejenigen Betriebe, die zahlungsunfähig sind, aussortieren.

Das notwendige Gesetz für die zweite Stufe der Priavtisierung, das eigentlich zum 1. Juli in Kraft treten sollte, hat die Staatsduma, das russische Parlament, am Mittwoch in erster Lesung zunächst mit 186 gegen 91 Stimmen abgelehnt. Es wurde zusammen mit den Gegenvorschlägen aus den Reihen des Parlaments zur Beratung in die Ausschüsse verwiesen. Präsident Boris Jelzin hat allerdings bereits angekündigt, daß er das Privatisierungsprogramm noch vor dem Ende der Beratungen des Parlaments per Erlaß in Kraft setzen werde. Die Regierung erhofft sich von dem Gesetz, nach dem künftig Privatleute Geschäftsanteile für Geld – und nicht mehr für die Priavtisierungsschecks (Voucher) – kaufen dürfen, die dringend notwendigen Kapitalspritzen für die Betriebe zu bekommen. Weitere Betriebe sollen so vor der Pleite bewahrt werden.

Die russische Industrie befindet sich inzwischen in einer dramatischen Zahlungskrise. Viele Unternehmen verloren mit der Gründung der 15 UdSSR-Nachfolgestaaten ihre Märkte. Weil das ihre Einnahmen schmälerte, gingen viele Manager dazu über, beim Einkauf die Vorprodukte nicht zu bezahlen, woraus eine Kette von gegenseitiger Verschuldung entstanden ist. Nach Angaben des Wirtschaftsministeriums waren alle Unternehmen Rußlands untereinander und bei Banken Ende März mit knapp 70 Billionen Rubel (56 Milliarden Mark) verschuldet. dri

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