: Der „Bewerber“-Name kam per Eilbrief
■ Einige Erinnerungen zum „traditionsreichen Fahning-Gebäude“ am Neuen Wall / „Arisierung“ zur Zeit der „Kristallnacht“ Von Beate Meyer
1992 ersteigerte der Spekulant Dr. Jürgen Schneider den Gebäudekomplex am Neuen Wall/Alsterarkaden für 85 Millionen Mark. Vorbesitzer waren das Modehaus Fahning und die Erben des früheren Eigentümers Hirschfeld gemeinsam. Die Zwangsversteigerung war nur von einer der beiden Parteien gewollt: den Fahnings. Hans Hirschfeld hingegen versuchte den Verkauf mit allen rechtlichen Mitteln aufzuhalten. Er wollte verhindern, daß die traditionsreiche Immobilie in Spekulantehände geriet – was seiner Meinung nach jeder wirtschaftlich Informierte hätte erkennen können. Er konnte den Verkauf nicht stoppen. Damit endete Hans Hirschfelds jahrelanges Ringen um das väterliche Erbe und ließ letzten Endes nationalsozialistisches Unrecht doch noch siegen.
Die Hirschfeld-Brüder hatten das heimische Westpreußen vor der Jahrhundertwende verlassen. In Leipzig, Bremen, Lübeck, Hannover und Hamburg eröffneten sie Damenkonfektionshäuser des gehobenen Bedarfs, die schnell expandierten. Das Hamburger Haus gründete Isidor Hirschfeld, der später seinen Bruder Benno in das Geschäft aufnahm. Die Hirschfelds waren Juden. Im Hamburg der zwanziger Jahre war die Familie hoch angesehen, sie galt als liberal und wohltätig, das Konfektionshaus wurde patriarchalisch geführt. Nach der Machtübernahme wurde es sofort Zielscheibe des ersten Boykotts am 1. April 1933. Die Hamburger Kunden aber reagierten anders als die in den Beamtenstädten Hannover und Leipzig, sie ließen sich nicht vom Kauf abhalten. In den folgenden fünf Jahren mußten sich die Brüder Hirschfeld immer wieder mit SA-Störaktionen und anderen Behinderungen auseinandersetzen. Dem Werbungsverbot begegneten sie noch 1937 mit einer Fassadenmodernisierung. Gleichzeitig wurde es immer schwieriger, Einkäufe zu tätigen, weil jüdische Zulieferer emigrierten und ihre Nachfolger Juden nicht mehr oder zu anderen Konditionen belieferten. Die geschäftliche und persönliche Situation der Familie verschlechterte sich stetig. Isidor Hirschfeld starb 1937. Seine Söhne Rudolph und Otto wollten Deutschland aber ebensowenig wie Benno Hirschfeld verlassen, der sich durch seine Ehe mit einer Christin und die beiden Söhne Kurt und Hans „geschützt“ wähnte. Sein privates Vermögen hatte er vorsichtshalber auf seine christliche Ehefrau übertragen. Im März 1938 erhielt Benno Hirschfeld die Anweisung des Reichswirtschaftsministeriums, die Firma der Treuhansa zu übergeben, die sie dann „arisieren“ sollte. Der Verkaufspreis wurde von einem bestellten Schätzer festgelegt. Gebäude, Firmenmantel, Geschäftsausstattung und Ware sollten für weniger als die Hälfte des Wertes an einen vom Ministerium ausgewählten „Bewerber“ gehen. Am Abend vor der „Kristallnacht“ traf ein Eilbrief mit der Mitteilung ein, daß Franz Fahning der Auserwählte sei. Die Familie Hirschfeld wollte am 9. November 1938 Ottos Hochzeit in Bremen feiern. In dieser und den folgenden Nächten wurden 30.000 deutsche Juden verhaftet, die Hirschfelds waren dabei. Hans kam einige Stunden später frei. Benno erlitt zwei Herzanfälle, bevor er entlassen wurde. Rudolph und Otto wurden einen Monat im Konzentrationslager Oranienburg inhaftiert. Sie emigrierten nach ihrer Entlassung sofort nach Uruguay.
Benno Hirschfeld kehrte in ein verwüstetes Geschäft am Neuen Wall zurück. Ältere Hamburger erinnern sich noch an Schaufensterpuppen, die in den Fleeten trieben und Bürgersteige, die voller Glassplitter lagen. Der Ariseur Fahning machte sofort Preisminderungen für Schäden an Ausstattung und Ware geltend. Allein 78.000 Reichsmark für Glasbruch. Von der ohnehin zu niedrigen Verkaufssumme zog der NS-Staat eine „Arisierungsabgabe“, die Judenvermögensabgabe und Reischsfluchtsteuer ein. Nun versuchte auch Benno Hirschfeld ebenso verzweifelt wie vergeblich, ein Visum für ein Aufnahmeland, und sei es Kuba, zu erlangen. Als einer der prominentesten Hamburger Juden wurde er immer wieder Zielscheibe der Nationalsozialisten: 1941 verbrachte er drei Wochen im KZ Fuhlsbüttel. Der Blockwart hatte ihn denunziert, Feindsender zu hören. Am 1.3. 1943 setzte der Leiter des Amtes für den Arbeitseinsatz von Juden, Willibald Schallert, ihn auf eine Deportationsliste, weil er angeblich seiner Arbeitsmeldepflicht nicht nachgekommen war. Zusammen mit anderen Juden, die alle in sog. Mischehen lebten, wurde er zwei Monate im KZ Fuhlsbüttel festgehalten, im Mai 1943 nach Auschwitz transportiert, im Januar 1945 dann in das KZ Buchenwald verlegt und dort kurz vor Kriegsende ermordet.
Seinem Sohn Hans gelang es, in Hamburg zu überleben. Sein Sohn Kurt erhielt als „Mischling ersten Grades“ im Oktober 1944 den Einberufungsbefehl zur Zwangsarbeit. Bevor er dieser Aufforderung nachkommen konnte, wurde er unter dem Vorwand verhaftet, verbotene Lieder gesungen zu haben. Er starb im KZ Neuengamme. Insgesamt sind 26 Mitgleider der Hirschfeldfamilie in der NS-Zeit ermordet worden.
1950 erhielt die Erbin Betty Hirschfeld die Immobilie am Neuen Wall von Fahning zurück. Zusammen mit den nach Uruguay emigrierten Vettern gehörte ihr der Gebäudekomplex kurze Zeit wieder rechtmäßig. Doch die verarmten, in Südamerika lebenden Erben wollten ihren Anteil zu Geld machen, sie verkauften ihn 1956 – ausgerechnet an Fahning.
Hans Hirschfeld, der nach dem Tod seiner Mutter 1962 das Erbe antrat, hatte keine Möglichkeit, die nunmehr rechtmäßige Anwesenheit der Nachkommen des Ariseurs zu verhindern. Er konnte sie aufgrund geltenden Rechts auch nicht daran hindern, die Zwangsversteiguerung einzuleiten und den Verkauf an Dr. Jürgen Schneider zu vollziehen.
Beate Meyer ist Mitarbeiterin der Forschungsstelle für die Geschichte des Nationalsozialismus in Hamburg
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