piwik no script img

Klöckneraner krank vor Arbeit

■ Gigantische Umorganisation: 4.400 Arbeiter machen jetzt die Arbeit von 5.400 / Aber nach dem Arbeitskampf ist bei vielen erstmal die Luft raus

In der Haspelgrube ist es heiß, sehr heiß: Dort werden lange Stahlbleche von der Haspelmaschine aufgerollt und dann von Menschenhand beschriftet. Das Blech kommt direkt vom Walzen und ist 400 Grad heiß. Vor zwei Jahren noch arbeiteten in der Haspelgrube fünf Mann. Jeder wurde jede dreiviertel Stunde abgelöst. Jetzt sind es nur noch drei Mann. Die Hitzepausen sind seltener geworden. „Der Personalabbau ist teilweise direkt auf die Knochen der Mitarbeiter gegangen“, sagt Betriebsrat Gustav Jensen.

Die Belegschaft wurde in den letzten anderthalb Jahren um rund 1.000 Leute auf 4.400 verringert worden. Das war die Bedingung für den gelungenen Vergleich. Dennoch wird heute genausoviel Stahl (3 Mio. Tonnen) erzeugt. Die Arbeit hat sich für den einzelnen also verdichtet. „Wir sind jetzt Spitze in der Produktivität in Deutschland“, kann deshalb der Vorstandschef der Bremer Hütte, Klaus Hilker, sagen. Für die Produktion einer Tonne Stahl muß die Bremer Hütte nur noch 1,8 Mannstunden aufbringen. Deutscher Durchschnitt sind 3-4.

„Wir haben aber auch im Management gekürzt“, sagt der Vorstandschef: statt fünf Vorständen habe man nur noch drei, statt 180 Führungskräften nur noch 110. Außerdem wurde eine ganze Hierarchie-Ebene im technischen Bereich gestrichen: die Betriebschefs. Die Hütte hat nur noch vier Hierarchieebenen (ohne Meister und Vorarbeiter): Vorstand, Betriebsdirektoren, Betriebsleiter und Assistenten. Bei Mercedes sind es noch 7 Ebenen.

Peanuts im Vergleich zu den unteren Ebenen. Dort hat man mittlerweile 1.200 Leute weiterqualifiziert, damit sie die Aufgaben der Entlassenen auch noch übernehmen können.

1. Beispiel: Handwerker „fahren“ Anlagen. Zwei große Hauptgruppen gibt es im gewerblichen Bereich: Die Handwerker und die „Produktionsleute. „Produktionsleute“ fahren die Anlagen. Im Warmwalzwerk sitzt zum Beispiel einer im Steuerstand, der darauf achten muß, daß die Bleche zwischen den verschiedenen Walzgerüsten keine Beulen werfen, daß also die Geschwindigkeit zwischen den Walzen aufeinander abgestimmt ist. Noch nicht einig ist man sich bei Klöckner, ob man die Produktionsleute für kleinere Reparaturarbeiten, etwa einen Walzenwechsel, qualifiziert oder die Handwerker für den Steuerstand. In jedem Fall werden Arbeitsplätze überflüssig. Für die Produktionsleute wäre es eine eindeutige Höherqualifizierung: sie sind – ein Bremer Spezifikum – nur Angelernte.

2. Beispiel: Elektriker schlossern. Aus sicherheitstechnischen Gründen dürfen Kran-Instandhalter immer nur zu zweit über die Kräne laufen. Die Schlosser zu zweit und die Elektriker zu zweit. Rationalisierung: Jeweils ein Schlosser turnt zusammen mit einem Elektriker dort oben herum und übernehmen leichtere Arbeiten aus dem anderen Beruf. Spart die Hälfte der Leute. Ganz so einfach allerdings ging es nicht, die beiden Berufsgruppen haben Vorurteile: Den Schlossern gelten die Elektriker nur als „Funkenschlosser“, die Elektriker hingegen fühlen sich wegen der „Mystik“ ihres Mediums als Stars.

3. Beispiel: Werkstattarbeiten werden weggegeben. Seit Hochofen und Stahlwerk, die Walzwerke und die Verzinkungsanlage als eigenständige Geschäftsbereiche auf eigene Rechnung operieren, können sie Werkstattaufträge an den Klöckner-Reparaturkolonnen vorbei nach draußen vergeben. Folge: Die eigenen Reparaturkolonnen hetzen nur noch von einer Störung zu nächsten. Die geruhsamere Arbeit in der Werkstatt – zum Verschnaufen – ist weggefallen.

Diese Arbeitsverdichtung zeigt erste Konsequenzen: Der Krankenstand ist von einstmals 5 Prozent auf 9 Prozent gestiegen. In manchen Arbeitsbereichen kann die Mehrarbeit nur durch erhebliche Überstunden ausgeglichen werden. „Die, die sich in der Zeit des Vergleichs noch hergequält haben, die können jetzt nicht mehr“, sagt Betriebsrat Gustav Jensen. Ein Teil der Belegschaft habe sich innerlich geradezu „verabschiedet“ vom Betrieb, erzählt er.

Nur zur Hälfte also stimmt, was Vorstandsmitglied Hagen Breitinger so gern in der Öffentlichkeit kundtut: „Die Leute fühlen sich wohler, wenn sie besser ausgebildet sind, weil sie auch mehr Selbstbewußtsein haben.“ Sein Lieblingsbeispiel: Gabelstapelfahrer dürfen heute alles mit vier Rädern fahren, Nur, sagt Betriebsrat Jensen: Es muß auch finanziell was rüberkommen, Lohngruppe 10 dürfe nicht Ende der Fahnenstange sein.

Der schlimmste Arbeitsplatzabbau ist ausgestanden, doch bis Jahresende muß nochmal reduziert werden: von 4.400 auf 4.000. Das will der Vorstand, das will Sidmar. Diese Planzahl soll mit Ausgliederungen einzelner Betriebsteile erreicht werden: Verkauft ist schon die Datentechnik, ohnehin eigenständig die neue Verzinkungsanlage. In der Diskussion ist vor allem der Hafen. Die Betriebsräte würden dem Verkauf zustimmen, wenn denn die Belegschaft weiter bei Klöckner beschäftigt ist und auch von den Klöckner-Betriebsräten vertreten wird. Gute Erfahrungen hat man da mit dem schon lange ausgegliederten Zementwerk gemacht, das bestätigt selbst die dortige Geschäftsführung. Hintergedanke des Betriebsrates Michael Breidbach: „Durch viele kleine Gesellschaften würde sonst die gewerkschaftliche Kraft zersplittert.“

Christine Holch

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen