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Grünweißrote Krötenschlucker

■ Italiens Erfolge werden nur durch eines getrübt – daß man den ungeliebten Trainer Sacchi behalten muß

Rom (taz) – Romolo Proietti, Elektriker aus Terracina, nervt seit Wochen seine Kollegen mit der gute-Nachricht-schlechte-Nachricht- Frage. Die gute: Italiens Kicker haben ihr Spiel bei der Weltmeisterschaft gewonnen. Die schlechte? Dafür bleibt Trainer Arrigo Sacchi. Der Scherz löste anfangs noch einiges Lachen aus; mittlerweile sieht Romolo nur noch grimmige Gesichter, und ein Chor mißgestimmter „Tifosi“ antwortet bereits bei der Eingangsfrage: „Wir wissen es, wir wissen es, Sacchi bleibt.“

So kann sich eine ganze Nation ihre Freude versauen. Niemand hatte bei Beginn der WM gerechnet, daß die Azzurri auch nur ins Halbfinale kommen, und so hatte die gesamte Fußballgemeinde, grob geschätzt 57,3 Millionen, bereits seit Wochen die Messer gewetzt für den Tag, an dem man den ungeliebtesten Coach aller Zeiten abmurksen konnte. Einen Empfang hatte man sich schon ausgedacht, daß das Spießrutenlaufen der Azzurri nach dem Ausscheiden vor zwanzig Jahren ein Klacks dagegen erscheinen sollte. Und so mancher oppositionelle italienische Politiker hatte ein kleinkleinwenig auch noch geglaubt, den Höhenflug des derzeitigen Regierungschefs Silvio Berlusconi ein kleinkleinwenig mitbremsen zu können – schließlich ist Arrigo Sacchi sein Mann, und selbst für die Mannschaftsaufstellungen gibt der Ministerpräsident öffentliche Empfehlungen.

Nichts zu machen – Italiens Glückssträhne mit Toren, zunächst überwiegend in letzter Minute und eher hingescheibelt denn herausgespielt, ließ zwar weitläufige Diskussionen zu, daß man sich das „nur einmal habe leisten können“, doch dann gelang es beim nächsten Mal auch wieder. Und Sacchi wurde immer weniger angreifbar; heute ist zweifelhaft, ob er selbst nach einer deklassierenden Niederlage gegen Brasilien seinen Hut nehmen müßte.

Der „Philosoph auf dem Rasen“, der die Italiener und vor allem die Spieler durch unentwegtes Herumexperimentieren nervte und nun von Spiel zu Spiel und Verletzung zu Verletzung, von Platzverweis zu Platzverweis seiner Cracks grinserlicher erklärt, nun zahle sich die Arbeit aus, er habe immer eine Alternative in der Hinterhand – er rückt in letzter Zeit sogar ab und an die sonst auf der kahlen Stirn getragene Brille über die Augen; Kenner vermuten, daß er es tut, damit niemand sieht, wie er sich ins Fäustchen lacht. „Wir müssen die Kröte schlucken“, sagt Romolo trübsinnig. Sacchi ist nicht der einzige, der Probleme schafft – auch der Star-Torschütze Roberto Baggio hat es so an sich, daß man ihn mag und auch nicht mag.

Dabei hätte Italien den ungeschmälerten Genuß des Erfolges heute bitterer nötig denn je: ein zerrissenes Land, wirtschaftlich noch immer nicht auf dem Damm, international wegen der unseligen Faschisten-Beteiligung an der Regierung mit Argwohn betrachtet, sportlich seit Jahren nicht mehr von Highlights repräsentiert (die vielen Siege und Europacup-Turniere sind bekanntlich vor allem zugekauften ausländischen Fußballern zu verdanken) – da wäre ein großer Sieg, an dem man sich berauscht und zu dem einem alle uneingeschränkt gratulieren müssen, schon das Richtige. Doch immer ist da Sacchi ...

Vergeblich bemühte sich Berlusconi mit seinen Fernsehsendern, das Image des Geschmähten aufzupolieren, ließ über seine Sportzeitung Breitseiten gegen alle Kritiker abfeuern, vergebens. Sacchi ist der Wermutstropfen im Siegestaumel. „Ihr Deutschen habt es gut“, murrt Romolo Proietti denn auch, „ihr habt euren Vogts jetzt wohl auf immer los, und vielleicht hat's sogar am Image Kohls gekratzt. Wir müssen mit der Kröte weiterleben.“

Berlusconi, eingefleischter Pragmatiker, hat denn inzwischen auch bereits eine Wende eingeleitet – eine gewisse Distanz zu Sacchi ist zu beobachten. Möglicherweise, so argwöhnen Beobachter, wird der Fernsehmogul, die Hand immer am Puls des Volkes, der Nation wieder mal selbst Stimme verleihen und den Ungeliebten doch ablösen lassen – möglicherweise über den Aufstieg in ein ehrenvolles Amt in der Regierung, etwa als Sportbeauftragter im Sozialministerium oder gar als Staatssekretär für Sport. Werner Raith

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