: Italiens Mafia-Ermittler treten zurück
Nach einem Sondererlaß der Regierung müssen Korruptionsverdächtige freigelassen werden / Nur noch bei Verdacht auf Terrorismus und Drogenhandel ist U-Haft zugelassen ■ Aus Rom Werner Raith
Das Lächeln, das Sonderstaatsanwalt Antonio Di Pietro normalerweise aufhat, war so vollkommen verschwunden, daß er kaum wiederzuerkennen war: Knapp kündigte er am Donnerstag abend an, daß alle Ermittler der Antikorruptionskommission „Mani pulite“ (Saubere Hände) zurücktreten bzw. um sofortige Versetzung bitten werden.
Der Grund: In einer Nacht-und- Nebel-Aktion hatte Justizminister Alfredo Biondi ein Dekret vorbereitet und vom Kabinett verabschieden lassen, das die Modalitäten der Untersuchungshaft grundlegend ändert. Danach darf nur noch in Untersuchungshaft aft genommen werden, wer des Terrorismus, des illegalen Drogenhandels oder mafioser Bandenbildung verdächtig ist, allen anderen muß „Hausarrest“ zugestanden werden, „sofern die überwachungstechnischen Voraussetzungen dafür vorliegen“.
Die scharfe Kritik der Ermittler richtet sich dabei nicht nur gegen die Ungleichheit (während ein Reicher in seiner alleinstehenden Villa gut überwacht werden kann und daher in Hausarrest entlassen wird, muß der arme Taschendieb aus dem Spanischen Viertel von Neapel weiter brummen, weil in dem Häuser- und Straßengewirr der Hausarrest nicht überwachbar ist), sondern vor allem gegen die Modalitäten der Neuregelung: Nicht über eine Gesetzesnovellierung, also mit Zustimmung des Parlaments, sondern über den Weg einer Regierungsverordnung wurde die Änderung beschlossen, die sofort in Kraft tritt.
Die Korruptionsbekämpfer sehen mit dem Dekret ihre gesamte Arbeit gefährdet. Tatsächlich war ihnen der Einbruch in das seit Jahrzehnten gepflegte Schmiergeldsystem erst mit Hilfe reihenweiser Festnahmen schmierender Unternehmer gelungen, die spätestens nach zwei oder drei Tagen Knast keinen Sinn mehr darin sahen, die immer gefräßiger gewordenen Politiker zu schützen. So kam eine Riesenwelle von Ermittlungen gegen Minister und Staatssekretäre, Parteikassiere und schließlich auch die Sekretäre und Vorsitzenden der Regierungskoalition in Gang.
Völlig zu Recht sieht Minister Biondi, ein durchsetzungsfähiger rechtsliberaler Advokat aus Mailand, in der Aufhebung der U-Haft auch den Knackpunkt zu der von Ministerpräsident Berlusconi und seinem Ambiente dringend gewünschten Aktion „Schwamm drüber“ – Schluß mit den Ermittlungen und möglichst schnell auch mit den noch anstehenden Verfahren. Gelingt es, die noch inhaftierten Politiker und Unternehmer herauszuholen, hat dies unmittelbar zwei Konsequenzen: Fällt die Bedrohung mit sofortigem Gefängnisaufenthalt, wird kein Unternehmer mehr „singen“; und kommen die inhaftierten Politiker und Manager jetzt frei, haben sie Zeit zur Spurenverwischung.
Minister Biondi begründet seine Initiative mit der Fragwürdigkeit von U-Haft an sich und zitiert dabei gerne eine Norm der Europäischen Union, nach der Untersuchungshaft die große Ausnahme sein muß, nicht die Regel – „und schon gar nicht das Instrument zum Herauspressen von Geständnissen“. Was eine große Anzahl von Strafrechtlern denn auch als ehrenwerten Grund ansieht. Gleichzeitig verweisen viele von ihnen darauf, daß „sich U-Haft nur dort erübrigt, wo die Ordnungskräfte und Ermittlungsbüros hinreichend effizient sind, Spurenverwischung und Verdunklungsgefahr auszuschalten“. Genau das aber ist „in Italien noch nie der Fall gewesen“, wie der Mailänder Kommentator Giorgio Bocca anmerkt.
Erst die lange Reihe von Geständnissen inhaftierter Unternehmer hat die Ermittlungen vorangebracht – am Ende der im Frühjahr 1994 vorzeitig abgebrochenen Legislaturperiode waren über 300 der 968 erst zwei Jahre zuvor gewählten Volksvertreter, dazu mehr als tausend andere Politiker und Unternehmer, in Ermittlungsverfahren verwickelt.
Die Mailänder Staatsanwälte führen an, daß ihnen in den zwei Jahren seit Bildung ihrer Sonderkommission nur drei danach nicht haltbare U-Haftverfügungen passiert waren, und auch die nur für jeweils wenige Tage: Sie hatten Korrupteure und Korrupte nur dann zu belangen begonnen, wenn sie aus mehreren unabhängigen Quellen überzeugendes Belastungsmaterial beibringen konnten.
Die Koalition hat den Schritt der Sonderermittler scharf kritisiert: „Staatsanwälte und Richter haben die Gesetze anzuwenden, nicht zu kritisieren“, schimpfte der Sprecher des Ministerrates – „sollen sie gehen, wenn sie wollen“, donnerte „Liga“-Chef Umberto Bossi, einst großer Förderer von „Mani pulite“, nun gram, weil diese Schmiergeldannahme auch bei seinem Parteikassier ausgemacht haben. Ein Institutionenkonflikt kündigt sich an, wie ihn die Nachkriegsrepublik Italien noch nicht erlebt hat. Kommende Woche will die Ministerrunde erneut über die Situation beraten.
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