: Schiffbruch erleiden, Ozean werden
■ Drei Tage „Visionen menschlicher Zukunft“ im Kongreßzentrum / Die Spirituellen als Pioniere des neuen Bewußtseins
Carola Groeck (40), Lehrerin aus Thüringen und Sternzeichen Fische, hat es aus der „Esotera“: „Visionen menschlicher Zukunft“, ein Kongreß in Bremen, wurde annonciert. Sie hatte seinerzeit mit ihrem ersten Westgeld den New-Age-Szenerenner „Wendezeit“ von Kapra gekauft, lernte die stolperfreie Aussprache des Wortes „Paradigmenwechsel“ und geriet in Workshops der sog. Barnett-Schule. Und nun der große Michael Barnett höchstselbst in Bremen – da mußte sie hin.
Am Samstag um 15.50 Uhr im Borgward-Saal des Bremer Congress Centrums konnte sie beim Symposium „Religion – Glauben an den Sinn“ ihren Hilferuf loswerden: „Wir Spirituellen im Osten Deutschlands fühlen uns vereinzelt und von den großen Kirchen in die Okkultisten-Ecke gedrängt. Dabei schwappt bei uns alles über, und wir wollen den Jungen einen Weg weisen. Wir sind einsame Prediger in der Wüste!“ Da antwortete der große Barnett: „Die Widerstände sind unser Weg.“
Drei Tage lang, von Freitag bis Sonntag, Visionen: schöne, kluge und manchmal recht exotische ReferentInnen; Themen wie „Management und Spiritualität“, „Wandlung von Aggression in zupackende Liebe“, „Ordnung im Chaos – Chaos in der Ordnung“ (richtig: vom Bremer Chaosmathematiker Peitgen) und „Die Kultur der Maya“; und vielleicht vierhundert Spirituelle, die meist „ßpirituell“ sagen, sich immerfort furchtbar gerne outen möchten und Verwandte im Geiste suchen. Denn ihre Wege sind so zahlreich wie die Namen Gottes, und das einzige sicher Verbindende drückt der Ausruf von Michael Barnett aus: „Ihr seid die Pioniere des Bewußtseins!“
Barnett ist deutlich der schrägste Vogel beim Kongreß. Der ehemalige Bhagwan-Adept betreibt in Südwestfrankreich ein komisches „Sunshine Buddhaland“, wo man für Geld alles kaufen kann von handmade Mode bis spielerisches Tantra, von Happy Chicken's Night bis zur Integration der rechten und linken Gehirnhälfte und einer Fellini-Nacht. In Bremen torpedierte er die Absicht der Veranstalter, über Religion reden zu lassen, mit Vorschlägen, praktische Erfahrungen zu machen – was das Auditorium mehrheitlich jauchzend begrüßte. Tatsächlich flogen irgendwann alle Hände durch die Luft wie Vögel und es entstand unter Anleitung des Meisters ein „Raum der Stille, der sich dahin bewegt, wo er gebraucht wird“.
Die Diskussionsbeiträge der Großen gerieten oft gleich zu lectures und wurden von tüchtigen Tonmeistern mitgeschnitten und auf Kassette kopiert (19 Mark). Guten Absatz werden sicherlich auch die Worte des Sioux Floyd „Rote Krähe“ Westerman und der Maya-Priesterin Calixty Gabriel Xiquin aus Guatemala finden, die Mahnendes zum Thema „Gesellschaft und Spiritualität“ zu sagen hatten (Moderation: Annelie Keil, Bremer Professorin für Gesundheit und Krankheit). Der Indianer bekam Jubel aus dem gutgefüllten Saal für die Worte: „Unsere Spiritualität ist dieselbe wie Ihre vor der Christianisierung.“ Woraus folgt: „Kommt nicht zu uns, unsere Spiritualität wegnehmen – Ihr habt Eure Schamanen und Hexen...“ Für eine spirituelle Urerfahrung legte Rote Krähe nahe, vier Tage auf einem Berg unter einem Baum auszuharren ohne Essen und Trinken, wie seine dreizehnjährigen Indianerkinder beim „Sonnentanz“. Man würde danach das Wasser anders behandeln (Kandidaten seien auch Kohl und Clinton).
Der „Philosoph, Künstler, Verleger und Autor“ Wolfgang Dahlberg erinnerte an das kosmische Großereignis, das mitten in den Kongreß platzte: den Jupiter-Beschuß. Daß solche Kongresse stattfinden und daß sich die Esoterik-Büchertische biegen, liegt nicht zuletzt an den Endzeitphantasien der Menschen, die von der Fachwelt allerdings lieber in Diskussionen über „Passagen“ kanalisiert werden. Das Jupiter-Ding sei so ein „Teil der Passage“, war zu erfahren, des Übergang von den Fischen zu Wassermann, von der 4.Welt zur 5.Welt (Hopi), wobei ja auch eventuell der Messias kommt. Doch fürchtet euch nicht; eine weise Amerikaner hat gesagt: „Der Tod ist Gottes andere Tür.“
Der ganz große Spaß in der Esoterik-Szene ist die Vernebelung der Köpfe durch Paradoxien. „Es liegt an dir, im Prinzip aber nicht an dir“; „das Gebet ist die Erhörung des Gebets“; man muß Schiffbruch erleiden und untergehen, kann aber nicht untergehen, weil man selbst zum Ozean wird usw. usf. Der Nebel ist gut gemeint; Dahlberg: „Paradoxe Formulierungen wollen den Geist in die Stille führen.“ Die Stille ist wichtig, nur in ihr kann ein Wir-Gefühl, entstehen. Sobald nämlich in Bremen die Menschen den Mund aufmachten, stellte man fest, wer alles hier im Namen des Geistes unterwegs war. Geradezu wieherndes Gelächter erhielt ein kleiner Alter aus der Ecke der in diesem Kreis nicht so beliebten „Transzendentalen Meditation“, der ein Cross over mit dem Christentum gewagt hatte. „Morgens haben wir TM gemacht, so meditieren, fliegen, was auch immer. Abend dann das Abendmal.“ Doch das Podium lobte eindringlich: das sei modern, das sei wunderbar. Diese Vermischung.
Von dieser Vermischung kann man auch leben. Ein Bhagwan-Jünger verkaufte erfolgreich im Foyer des Congress Centrums edle Steine und Kristalle für alle Kümmernisse: Pyrith für Selbstliebe, Jaspis gegen Allergie und Jade für Fruchtbarkeit und gegen Grippe. „Wir sind eben der Esoterik besonders aufgeschlossen,“ sagte der Steinehändler, der auf die „Power“ seines Bergkristalls schwört. Besonders gut für Aura, Fettgewebe und Hysterie: der dicke Bergkristallklunker für 2.500 Mark. Sicher ein Markstein auf dem Weg zum „Kontakt mit dem Unauslotbaren“, wie ihn Michael Barnett postuliert.
Burkhard Straßmann
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