■ Das gefundene Plutonium stammt vom bösen Russen: Wie wird man diesen Geist nur los?
Das Ende des Kalten Krieges währte nur kurz. Kaum hatte die sowjetische Zentralregierung ihre Macht verloren, standen die Russen als Bedroher der westlichen Welt schon wieder in den Schlagzeilen der westlichen Medien: Nuklearmaterialschmuggler und Atomterroristen sind unter uns. Nicht mehr länger sind die Planer in Moskau die Bedrohung – im Gegenteil. Und auch das Militär mit seiner hierarchischen Struktur konvertiert im westlichen Blick inzwischen zum Friedenserhalter, der allerdings zu schwach ist, um den Überblick und die Macht über die Atomwaffenpotentiale zu behalten. Tatsächlich ist der Plutoniumfund von Tengen weitaus beunruhigender als alles bisher entdeckte geschmuggelte Nuklearmaterial. Denn während es sich bisher fast immer um für eine weitere Verwendung wertlose Stoffe handelte, ist das im Mai sichergestellte Material eine Probe aus einer russischen Waffenschmiede. Mehr dergleichen würde tatsächlich für eine Bombe verwendet werden können.
Die Fixiertheit des Westens auf die unsichere Situation im Osten verhindert allerdings erneut den Blick auf die weltweite Dimension des Nuklearwahnsinns. Auf der gesamten Erde lagern einige hundert Tonnen dieses supergiftigen Spaltmaterials – und kein Mensch weiß, wohin damit. Obwohl die Internationale Atomenergieagentur IAEO seit langem auf eine Plutoniumkonferenz drängt, verhinderten die USA sie bisher erfolgreich.
Beileibe nicht nur die Atomwaffenmächte verfügen über Plutonium. Auch in Ländern wie Deutschland, wo es nur friedliche Atomenergienutzung gab, ist das Bombenmaterial vorhanden. Ursprünglich sollte es in Wiederaufarbeitungsanlagen herausgelöst werden, in MOX-Brennelementen Verwendung finden oder in Brütern. Die aber sind bei weitem teurer als frische Brennstäbe. Selbst wenn man entgegen jeder ökonomischen Vernunft auf MOX setzen würde: Die über 200.000jährige Strahlengefahr wird man so nicht los. Auch der riesige toxische Overkill ist nicht zu bannen.
So findig die Wissenschaftler in der Kreation von Vernichtungstechniken sind, so unfähig sind sie, den Geist in die Flasche zurückzuzwingen. Um das Plutonium wieder loszuwerden, fällt ihnen nicht mehr ein, als das Zeug entweder irgendwo zu vergraben oder ins Weltall zu schießen. Noch aber gibt es kein einziges potentielles Endlager für das Waffenmaterial auf der Erde. Abgesehen von den geologischen Problemen ist auch völlig unklar, wie den Menschen der Zukunft die Gefahr klargemacht werden kann. Vor allem aber ist damit zu rechnen, daß es in den nächsten 200.000 Jahren noch weitaus chaotischere Zustände geben wird als gegenwärtig in Rußland! Annette Jensen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen