piwik no script img

Totschlag an der Berliner Mauer

■ Bundesrichter verhandeln über die Revision im Verteidigungsrats-Prozeß

Berlin (dpa) – Der Bundesgerichtshof (BGH) wird morgen über die Revision von Staatsanwaltschaft und Verteidigung im Prozeß gegen die Mitglieder des Nationalen Verteidigungsrats der DDR verhandeln. In dem Verfahren, in dem sich zu Beginn im November 1992 auch Erich Honecker hatte verantworten müssen, geht es um den Totschlag an Flüchtlingen an der Berliner Mauer und der innerdeutschen Grenze.

Insgesamt sollen an der Grenze seit 1949 über 200 Menschen ums Leben gekommen sein. Das Berliner Landgericht hatte am 16. September 1993 das Urteil verkündet. Der ehemalige DDR-Verteidigungsminister Heinz Keßler (74) war zu siebeneinhalb Jahren, sein Stellvertreter Fritz Streletz (67) zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Die 27. Große Strafkammer sprach die beiden wegen Anstiftung zum mehrfachen Totschlag schuldig. Der dritte verbliebene Angeklagte – der ehemalige Suhler SED-Chef Hans Albrecht (74) – erhielt eine Freiheitsstrafe von viereinhalb Jahren wegen Beihilfe. Streletz und Keßler wurden auf freien Fuß gesetzt, Albrecht war zuvor von der Untersuchungshaft verschont worden. Das Gericht sah keine akute Fluchtgefahr mehr.

Im Urteil hatte das Landgericht allen Angeklagten zugute gehalten, daß sie bei ihrem Eintritt in den Verteidigungsrat „ein bereits bestehendes Grenzregime vorgefunden und dieses nur fortgeschrieben haben“. Die Tatintensität sei damit deutlich geringer als beispielsweise bei Honecker, der das Grenzregime mit aufgebaut habe, hieß es.

Die Verteidigung hat bereits angekündigt, Freispruch für die Angeklagten zu verlangen. Die Anwälte rügen verschiedene Verfahrensfehler in der ersten Instanz. Sie sind aber auch der Ansicht, daß die Angeklagten aus Rechtsgründen freizusprechen sind. Die Staatsanwaltschaft hat ihre Revision unter anderem darauf gestützt, daß die Strafen für die Beschuldigten zu gering ausgefallen seien.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen