: Besetzer sperren den 20. Juli aus
■ „Gedenkstätte Deutscher Widerstand“ wurde gestern friedlich besetzt / Gescheitertes Hitler-Attentat kein Widerstand?
Der 20. Juli gehört nicht in die Geschichte des Widerstands gegen den Nationalsozialismus. Mit dieser These wartete ein „Antinationales Aktionsbündnis“ auf, das gestern die „Gedenkstätte Deutscher Widerstand“ in der Stauffenbergstraße besetzte. Kurz vor neun Uhr hatten etwa 20 Leute aus Hamburg die Ausstellungsräume als Besucher betreten und sich dort verbarrikadiert. Aus den Fenstern hängten sie zwei Transparente mit der Aufschrift „20. Juli '94: Feiern für ein ,Neues Reich‘“ und „Nie wieder Deutschland“.
Vor den zunächst ausgesperrten Gästen, die zur Eröffnung der Ausstellung „Terror und Verfolgung nach dem 20. Juli 1944“ gekommen waren, verlasen die Besetzer auf deutsch und englisch eine Erklärung. Darin bezeichneten sie die zum 50. Jahrestag des gescheiterten Attentats auf Hitler am Mittwoch geplante Veranstaltung mit Bundeskanzler Helmut Kohl und Verteidigungsminister Volker Rühe als „aggressiv-revanchistische Veranstaltung, die so gut zu Deutschlands neuen Interessen paßt wie die Festungspolitik gegen Flüchtlinge“. Für diese „neue Großmachtpolitik Deutschlands“ böten „nationalsozialistische Inhalte ebenso einen Anknüpfungspunkt wie für die beschleunigte Durchsetzung von verbesserten Kapitalverwertungsbedingungen im Inneren“. Der geplante Staatsakt sei „ein Teil des Projektes der Historisierung des Nationalsozialismus“.
Die Verschwörer des 20. Juli, erklärten die Besetzer, hätten mit den grundsätzlichen Zielen des Nationalsozialismus durchaus übereingestimmt. Ihr Widerstand sei nur „gegen die konkrete Politik der Hitlerregierung“ gerichtet gewesen. Hitler sei für sie zum „Erzfeind Deutschlands“ geworden, weil der die ursprünglichen Ziele der „nationalen Erhebung“ verraten habe. Nach dem Abzug der alliierten Truppen werde „die völkische Utopie eines Stauffenberg zunehmend wieder zur Realität“. Die Gedenkfeier sei daher Zeichen einer zunehmenden „Renationalsozialisierung“ der deutschen Gesellschaft.
Nach einem ersten Gespräch mit Kultursenator Ulrich Roloff- Momin, dem die Gedenkstätte untersteht, und weiteren Verhandlungen mit deren wissenschaftlichem Leiter Peter Steinbach verließen die Besetzer schließlich pünktlich zur Eröffnung der Sonderausstellung sowohl deren Räume im ersten Stock als auch die Dauerausstellung. Bevor er seine vorbereitete Rede hielt, freute sich der Kultursenator über den Zustand, in dem die Räume übergeben wurden: „Man könnte fast sagen: besenrein.“ Roloff-Momin wertete die Aktion „als – wenn auch in der Form völlig unangemessenen – Beitrag zur Diskussion um Rolle und Funktion des deutschen Widerstandes, die in der Gedenkstätte und um die Ausstellung geführt wird und auch offen geführt werden muß“. Johannes Tuchel, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Gedenkstätte für die Sonderausstellung verantwortlich zeichnet, verzichtete unter diesen Umständen seiner „bisher merkwürdigsten Ausstellungseröffnung“ auf eine Ansprache.
Obwohl die Besetzer sich ausdrücklich nicht auf den Streit zwischen Steinbach und den Stauffenberg-Nachfahren bezogen, stand die Aktion im Zusammenhang mit den gegenwärtigen Auseinandersetzungen um die Bewertung der verschiedenen Gruppierungen des Widerstands. Gestern wandten sich noch einmal Familienangehörige von Widerstandskämpfern und Politiker nachdrücklich gegen die Ausgrenzung von Kommunisten aus dem Lager der Hitlergegner. „Das Handeln damals darf nicht an den Konflikten einer späteren Zeit gemessen werden“, hieß es in der Erklärung, zu deren Erstunterzeichnern auch die Präsidenten des Berliner Abgeordnetenhauses, Hanna-Renate Laurien, zählt.
Gegenüber der taz erklärte Franz von Hammerstein, der nach dem 20. Juli 1944 der „Sippenhaft“ unterlag, weil seine Brüder an den Vorbereitungen beteiligt waren, Stauffenberg selbst hätte eine solche Ausgrenzung, wie sie sein Sohn jetzt fordere, „nie mitgemacht“. Auch in seiner Familie dürfte Franz-Ludwig von Stauffenberg mit seiner Auffassung ziemlich alleine stehen, „das wird natürlich nicht in der Öffentlichkeit diskutiert“. Ralph Bollmann
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