: Eine Pause zwischen den Kriegen
Nicht nur die bosnischen Kriegsparteien, sondern auch die Vermittler haben an einer schnellen Entscheidung über den Teilungsplan kein Interesse: Keiner weiß, was danach kommt ■ Von Sabine Herre
Berlin (taz) – Die Parlamentsabgeordneten in Pale und Sarajevo ließen sich gestern viel Zeit. Die für 10 Uhr vormittags angekündigten Beratungen über den Teilungsplan für Bosnien wurden vom selbsternannten serbisch-bosnischen Parlament auf 14 Uhr verschoben, erst zwei Stunden später wollte dann das bosniakisch-kroatische Parlament in der bosnischen Hauptstadt zusammentreten. Daß die internationalen Vermittler aus den USA, Rußland und der EU den Kriegsparteien eine Frist für die Abstimmung gesetzt hatten, schien diese wenig zu kümmern. Beobachter gingen davon aus, daß vor allem die Serben mit einer Überschreitung des heute ablaufenden Ultimatums zeigen wollten, daß sie sich nicht unter Druck setzen lassen. Das Parlament in Sarajevo dagegen versuche, so die Vermutungen, vor einer Entscheidung die Debatte der Serben abzuwarten.
Und so fanden am gestrigen Vormittag Beratungen allein in Belgrad statt. Serbiens Präsident Slobodan Milošević machte sich erneut daran, den Chef der bosnischen Serben, Radovan Karadžić, von den Vorteilen eines Plans zu überzeugen, der für die serbischen Angreifer immerhin 49 Prozent des bosnischen Territoriums vorsieht. Er ist, so scheint es, der einzige, der auf eine schnelle Verabschiedung des Plans drängt.
Auch die Gruppe der internationalen Vermittler hat an der präzisen Einhaltung des von ihr gesetzten Termins kein allzu großes Interesse. Weitgehend im dunkeln liegt nämlich, wie die internationale Gemeinschaft auf eine Ablehnung des Plans reagieren wird. Immer wieder in der Diskussion aufgetaucht sind bisher folgende Optionen: Lehnen die Serben ab, wird das Waffenembargo gegen die bosnischen Muslime aufgehoben, die Nato verstärkt nicht nur die Überwachung des Flugverbots in Bosnien, sondern ist auch zu aktivem Schutz – sprich Luftangriffe – der bedrohten muslimischen Enklaven bereit. Lehnt dagegen das Parlament in Sarajevo den Plan ab und die Serben stimmen zu, könnten die UNO-Hilfstruppen aus Bosnien abgezogen und das Embargo gegen Jugoslawien aufgehoben werden. Für alle Optionen gibt es in der Kontaktgruppe Befürworter und Gegner.
Wie die offiziösen Washingtoner Interessen derzeit aussehen, machte am Wochenende der US- Verteidigungsminister deutlich. Auf der ersten Station seiner Reise durch die Balkan-Staaten kündigte William Percy in Bukarest eine „Stärkung der Rolle der US-Streitkräfte in Bosnien“ an. Überrascht wurden die begleitenden Jounalisten dabei vor allem von der Äußerung, daß dies unabhängig von Erfolg oder Mißerfolg des Plans geschehe. Bisher hatten die USA sich lediglich bereit erklärt, im Falle einer Annahme des Plans die Hälfte der UNO-Friedenstruppe – das wären rund 20.000 Blauhelme – zu stellen. Aus diesem Grund waren Beobachter davon ausgegangen, daß bei einer Ablehnung des Plans die US-Regierung sich der von Senat und Kongreß geforderten Aufhebung des Waffenembargos anschließen werde.
Von einem weiteren Ergebnis langwieriger multilateraler Planungen für die Zeit „danach“ wußte inzwischen auch der Kommandeur der UN-Schutztruppen in Bosnien, Michael Rose, zu berichten. Bei einer Ablehnung des Genfer Teilungsplans sei es durchaus möglich, daß die Nato seine Soldaten ablösen werde, da die Unprofor mit ihrem derzeitigen Auftrag und ihrer Struktur keine größeren Aufgaben übernehmen könne, sagte er.
In Bukarest hatte Perry erneut betont, daß die Mitglieder der Bosnien-Kontaktgruppe ein klares „Ja“ oder ein „Nein“ der Kriegsparteien zu dem Teilungsplan erwarten. Tatsächlich geht Perry jedoch davon aus, daß es zumindest in Pale nicht zu einer eindeutigen Entscheidung kommen wird. Das Leben sei „nicht immer so einfach“, daher, so Perry, könne es neue Gespräche geben, wenn die Parteien eine Zustimmung an bestimmte Bedingungen knüpften. Die internationalen Vermittler hätten dadurch vor allem eines erreicht: eine – von kleineren Auseinandersetzungen abgesehen – Pause in einem nun bereits 27 Monate dauernden Krieg. Eine Pause, die vor allem ihnen nützt. Denn da sich die westliche Öffentlichkeit kaum für die anstehenden Detailverhandlungen interessieren dürfte, wird der Bosnienkrieg von den Bildschirmen verschwinden. Und mit ihm auch die Kritik an der Unfähigkeit der Politiker, diesen zu beenden.
Am wahrscheinlichsten scheint jedoch zur Zeit eine andere Entwicklungsvariante. Schon bei Bekanntwerden des Plans hatte ein bosnischer Regierungsvertreter sie folgendermaßen formuliert: „Wir werden den Plan unterzeichnen und ihn dann ignorieren, denn so haben sich in diesem Krieg bisher alle verhalten.“
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