: Wer sind die Helden, wer die Schurken?
■ Kultursenator Roloff-Momin zum 50. Jahrestag des 20. Juli: Die Ausgrenzung des kommunistischen Widerstands ist falsch / "Selbsternannte Sieger der Geschichte" wollen das Geschichtsbild revidieren
taz: Es sei „unglaublich“ und beschämend – so urteilt „Bild“ über die gestrige Besetzung der Gedenkstätte Deutscher Widerstand durch „Chaoten“. Sie werden zum klammheimlichen Unterstützer, weil Sie nicht räumen ließen. Verstehen Sie die Empörung?
Ulrich Roloff-Momin (parteilos, von der SPD nominiert): Nein. Die „Bild“-Zeitung sagt die Unwahrheit, wenn sie behauptet, ich hätte Verständnis geäußert. Im übrigen kennen wir ja das gesellschaftliche Phänomen von Besetzungen seit langem. Wenn die Gedenkstätte besetzt wurde, ist das natürlich von Staats wegen abzulehnen, aber das ist keine Kategorie, mit der sich junge Menschen heute abfinden. Unverständlich ist mir die Reaktion über das hinaus, was dazu zu sagen ist: daß man das so beenden muß, wie wir das getan haben.
Ist eine Erklärung für das „Bild“-Gegeifere, daß die Besetzung vor dem Hintergrund von Versuchen zu sehen ist, den Widerstand zu verengen auf die „nationalen“ Kräfte und die Bemühung, die Kommunisten auszugrenzen?
Den Versuch, den Widerstand gegen den Nationalsozialismus zu teilen in gedenkstättenwürdig und -unwürdig, finde ich falsch. Wenn wir das Datum des 20. Juli als das zentrale Zeichen des Widerstands werten, dann muß man den gesamten Widerstand würdigen, der seit 1933 geübt worden ist. Dann kann und darf es keine Rolle spielen, aus welcher gesellschaftlichen Gruppierung heraus dieser Widerstand geübt worden ist.
Wenn man schon differenzieren möchte in „guten“ und „bösen“ Widerstand, ist dann nicht auch Anlaß, darüber zu reden, daß die Attentäter sehr undemokratische und autoritäre Vorstellungen hatten, wie Deutschland nach Hitler aussehen sollte?
Das muß ein Teil der Diskussion sein. Viele Historiker heben das hervor. Es ist ja bemerkenswert, daß der Versuch einzelner, den Widerstand in die Schurken und die Helden zu teilen, von der Wissenschaft und von der überwiegenden öffentlichen Meinung und von weiten Teilen der Hinterbliebenen selbst abgelehnt wird.
Wenn man die Diskussion darüber eröffnet, muß man in der Tat an den kommunistischen Widerstand als auch an den Widerstand aus dem Kreisauer Kreis heraus und der Gruppe um Graf Stauffenberg die gleiche Elle anlegen. Wenn man den einen vorwirft, Ihr wolltet ja nur eine Unrechtsregime durch das andere ersetzen, dann muß man zumindest auch fragen, wodurch wollten denn die anderen das NS-Regime ersetzen. Da ist ja belegt, daß auch dort jedenfalls nicht die Demokratie nach unserem Grundgesetz das Ziel war.
Ist die Kontroverse auch ein Hinweis darauf, wie in der BRD zur Zeit auf vielen Ebenen ein Rechtsruck stattfindet und die Vergangenheit neu bewertet werden soll?
Es spricht vieles dafür, wenn man das Buch von Schäuble liest, wenn man jetzt die Auseinandersetzung mit dem Rechtsradikalismus sieht, wie diese in den einzelnen Bundesländern betrieben wird, Stichwort: Magdeburg. Wenn man die Gleichgültigkeit in weiten Teilen gegenüber einem neuen Rassismus, Nationalismus und einem neuen Fremdenhaß sieht, dann könnte es sein, daß sich insgesamt ein Wende anzubahnen scheint hin zu einem mehr nationalistischen Deutschland. Auf der anderen Seite sind ja die Ausgrenzungsversuche des Sohnes von Graf Stauffenberg gegenüber dem kommunistischen Widerstand nicht neu. Er hat ja schon früher, weit vor der deutschen Einigung, verhindert, daß der innerdeutsche Minister Herbert Wehner bei einer Gedenkveranstaltung zum 20. Juli sprechen konnte. Richtig bleibt dennoch, daß diese Versuche jetzt auf ein anderes gesellschaftliches Potential stoßen als damals. Man kann es ganz grob formulieren und polemisch zuspitzen: Möglicherweise sehen die selbsternannten Sieger der Geschichte jetzt die Chance, ein Geschichtsbild zu revidieren, um damit ihre eigenen Geschichte als Ursprung aller Dinge darzustellen. Interview: Gerd Nowakowski
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