: Alte Männer vor Gericht
■ Revisionsverfahren vor dem BGH
Berlin (taz) – In dem Revisionsverfahren gegen den ehemaligen Verteidigungsminister der DDR, Heinz Keßler (74), seinen Stellvertreter Fritz Streletz (67) und den Suhler SED-Bezirkschef Hans Albrecht (74) wird der 5. Senat des Bundesgerichtshofs (BGH) am kommenden Dienstag sein Urteil verkünden.
In der gestrigen mündlichen Verhandlung rügten Staatsanwaltschaft und Verteidigung das erstinstanzliche Urteil des Berliner Landgerichts. Die Staatsanwaltschaft forderte für die Riege der alten Männer – die momentan sämtlichst aus Gesundheitsgründen auf freiem Fuß sind – höhere Strafen. Begründung: Sie seien nicht lediglich Anstifter oder Gehilfen der Mauerschützen gewesen, sondern Mittäter. Ihre Befehle und Beschlüsse im Rahmen des Nationalen Verteidigungsrates hätten entscheidende Bedeutung für die Schüsse, Minen und Stacheldrahtverhaue an der Grenze gehabt, an der rund 200 Personen ums Leben kamen.
Gemeinsam mit den Grenzsoldaten wäre es ihr Ziel gewesen, Flucht um jeden Preis zu verhindern. „Auf jeden Beschluß folgte eine Tötung“, sagte Bundesanwalt Bruno Raehs. Er forderte den BGH-Senat dazu auf, das Urteil des Berliner Landgerichts aufzuheben und zurückzuverweisen. Mit ihrem Antrag rügte die Staatsanwaltschaft zwischen den Zeilen auch, daß zwar die einzelnen Grenzsoldaten wegen Täterschaft verurteilt werden können, die Großen aber nur als Beihelfer bestraft werden sollen.
Ganz anders die Verteidigung. Sie forderte, insbesondere wegen Verfahrensfehlern, das Urteil aufzuheben und das Verfahren mit dem Ziel eines Freispruchs neu aufzurollen. Die Strafen hatten zwischen viereinhalb und siebeneinhalb Jahren gelegen. Ihr Hauptargument: Die bundesrepublikanische Gerichtsbarkeit sei nicht zuständig, Regierungsakte anderer Staaten abzuurteilen. Das könne nur ein internationaler Gerichtshof. Auch habe der Nationale Verteidigungsrat der DDR überhaupt keine hinreichende Entscheidungsbefugnis gehabt. Diese hätte vielmehr in den Händen der Volkskammer und des Staatsrats der DDR gelegen.
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