: Glatte, gerasterte Waschküchenkälte
■ betr.: „Das Motto: Monotonie ist Qualität“, taz vom 1.7.94, „Bloß nicht diese Hauptstadt“, taz vom 7.7.94
Mit Interesse habe ich die beiden Beiträge zur Architektur- und Stadtplanungsdiskussion gelesen. Wiederholt werden hierbei die scheinbar preußischen Tugenden von Einfachheit, Klarheit und Sparsamkeit für die heutige Architektur heraufbeschworen. Dabei wird vergessen oder geleugnet, daß Berlin wesentlich eine Stadt des späten 19. Jahrhunderts ist und noch heute von dem nach dem Hobrechtplan konzipierten Blocksystem mit zum Teil repräsentativer Durchgestaltung und dem präventiv großzügigen Netz von Straßenachsen geprägt ist. Hier adäquate moderne Leistungen (ähnlich Paris) einzubringen, könnte eine große Aufgabe für Architekten und Stadtplaner bedeuten.
Statt dessen wird in bedenklichen Versuchen mit glatten, monoton gerasterten, einfallslosen Lochfassaden so getan, als läge dies in der guten preußischen Tradition. Die Kritik an der „Unwirtlichkeit der Städte“ (Mitscherlich), wie sie in den siebziger Jahren bereits geführt wurde, scheint vollends vergessen. Auch halte ich den Vorwurf, Architektur könne sich in Berlin auf Grund der Stimmannschen Vorgaben nach Blockstruktur, Traufhöhe und sockelfestem steinernen Haus nicht entfalten, für Augentäuscherei. Denn in Zeiten der Loslösung vom festen städtischen Blockdenken in den fünfziger und sechziger Jahren, in denen nach den Prämissen der Funktionstrennung und Auflösung intakt heterogener, historisch gewachsener Stadtorganismen allgemein Stadtplanung durchgesetzt wurde, hatten Architekten und Stadtplaner die einmalige Chance, neu zu bauen und ihre Vorstellungen von Stadt und „Stadtlandschaft“ zu praktizieren. Die uns in den fünfziger, sechziger und siebziger Jahren offenbarten Resultate waren meist enttäuschend und menschenfeindlich zugleich. Dies kommt eher einem Bankrott der Moderne gleich und hat sie desavouiert.
Bei aller Freiheit der Architekten und Stadtplaner, die moderne Stadt zu schaffen, wurden die grundlegendsten Bedürfnisse nach urbaner Geborgenheit, nach einer sinnenreichen vielfältigen Lebensumgebung nicht zur Kenntnis genommen und kühl ignoriert. Es ist also nicht so sehr eine Frage, ob im historischen Kontext oder im ideellen Freiraum gebaut und gestaltet werden soll, sondern ob der Wille nach sozialverträglicher kultivierter Stadtgestaltung überhaupt besteht oder ob mit der Berliner Doktrin nach glatter gerasteter Waschküchenkälte weiterhin menschliche Lebensbedürfnisse in dieser Stadt sträflich verachtet werden. Leisten sich doch Architekten allzugerne einen verfeinert dekorativen Lebensstil, schwärmen von Siena und Paris, leben und arbeiten im intakten, sanierten historischen Ambiente, während sie der Allgemeinheit wiederholt puritanische Monotonie predigen. [...] Werner Brunner
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