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Unterm Strich

Er war der letzte der Surrealisten: Der belgische Maler und Grafiker Paul Delvaux ist am Mittwoch im Alter von 96 Jahren in Veurne, einer kleinen Ortschaft unweit von Oostende, gestorben. Ohne in die großen Debatten um Psychologie und Zeichen einzugreifen, die André Breton im Namen des Surrealismus ausfocht, interessierte Delvaux allein die Poesie der Zeit, die wie geschichtet in seinen Bildern auftauchte. Fast in der Art Fra Angelos ließ Delvaux fremde Wesen durch ineinandergeschachtelte Räume der Antike schweben und brach noch die Blicke selbst der im Bild mit dargestellten Betrachter, die starr den Szenen folgen. In dieser hermetischen Imagination drückte Delvaux weniger die sich verflüchtigende Zeit aus als eine Flucht ins Leben, wie der sanfte Alte mit den engelshaft weißen Haaren gestand: „Ich möchte Bilder malen, in denen ich leben könnte.“

Seit den dreißiger Jahren zählte Delvaux neben Magritte zu den profiliertesten belgischen Surrealisten. Zuvor hatte sich der am 23. September in Antheit bei Huy geborene Maler mit dem Expressionismus beschäftigt. 1934 kam der für seine mit durchsichtigen Schleiern verhüllten, großäugigen Frauenfiguren bekannte Symbolist mit den Arbeiten von Giorgio de Chirico, Salvador Dali, Max Ernst und René Magritte in Kontakt. Sein eigenes ×uvre scheint jeden von ihnen beerbt zu haben: Die antiken Tempel und perspektivisch ins Leere mündenden Arkaden erinnern an die metaphysischen Architekturen des Italieners, die schmalen Grazien entsprachen dem Frauenbild Dalis ebenso wie dem von Max Ernst. Und mit Magritte verband ihn die kühle Atmosphäre seiner Bilder, die Delvaux zumeist nachts unter einem bleichen Mond inszenierte: Bahnhöfe, auf denen nackte Frauen geisterhaft verharrten, erotisch vielleicht, aber ohne Leidenschaft.

Internationale Bekanntheit erlangte der Maler erst in den 60er Jahren mit Ausstellungen in Europa, Japan, den USA, Kanada und Lateinamerika. Zu seinen bedeutendsten Bildern gehören „Die schlafende Venus“, „Frau mit Rose“, „Das Spitzener Museum“, „Die braven Jungfrauen“ und „Abendzüge“. 1980 wurde zu seinen Ehren die Stiftung Paul Delvaux mit einem eigenen Museum in Saint-Idelbald gegründet, 1984 verlieh ihm die Universitätsstadt Louvain- la-Neuve einen Ehrentitel – als Bahnhofsvorsteher.

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