: Italiens Linke hat lethargisch zugeschaut
■ Die wahren Protagonisten der Revolte gegen Berlusconi waren Strafverfolger und Bürger
Die Frage ist: Welche Rolle spielte der „Pool der Fortschrittlichen“, die Linke, bei der Revolte gegen Berlusconi? Die Antwort nahezu aller Beobachter: faktisch keine. Auch wenn es den meisten schwerfällt, dies zuzugeben: Die wahren Protagonisten des Erfolges gegen Berlusconi in einer derart wichtigen Frage wie der Privilegierung Korruptionsverdächtiger waren Ermittler und Strafverfolger – und die öffentliche Meinung.
Die Strafverfolger, die mit ihren Rücktritten eine „moralische Revolte“ ausgelöst haben, waren schon vorher das vorrangige Angriffsziel der Regierung gewesen. Und sie sind es auch weiterhin, als einzige demokratische Kraft, die sich der Exekutive ernsthaft entgegengestellt hat. Die Bürgerinnen und Bürger ihrerseits haben die Regierung massiv gewarnt – mit Zehntausenden von Anrufen, Faxen und Briefen und unzähligen Protestaktionen auf Straßen und Plätzen; man werde die „restaurative Arroganz“ nicht dulden, die die „Menschenrechte ungleich“ auslegt und „ganz nach Art früherer Regierungen vorgeht“.
Bis dahin war von der Linken nichts zu sehen und nichts zu hören. Reaktionen kamen erst, nachdem die Initiativen der Staatsanwälte und Richter gestartet und die Empörung des Volkes auf dem Höhepunkt waren. Und als sich die progressiven Kräfte endlich einschalteten, war ihr Protest eher schüchtern. Kein Zweifel, die Linke hat die erste große Gelegenheit verpaßt, sich nach Monaten der Lethargie und der Verzweiflung über den Rechtsruck im Lande wieder aufzurappeln.
Die aufmerksameren unter den Kommentatoren aus den Reihen der „Progressiven“ sind sich bewußt, daß Ministerpräsident Berlusconi sein Image nur aufbessern kann, wenn er alsbald Rache üben kann. Viele halten ihn, nun verwundet, für noch gefährlicher als vordem. Die Bereiche, in denen er die Linke treffen wird, sind dabei bereits ausgemacht: das soziale Netz, der Schutz der Arbeitsplätze und vor Entlassung, die Wiederaufnahme der Produktion von Kriegsgerät, die Amnestie für Bausünder großen Stils, auch die Reform des Wahlgesetzes, die Stärkung der Zentralgewalt auf Kosten der Kommunen.
Um solchen Angriffen etwas entgegenzusetzen, empfehlen linke Strategen Offensiven auf weiteren Gebieten, die Berlusconi zur Zeit besonders schwach aussehen lassen: anstehende Rechtsreformen, der Kampf gegen die Mafia, die Meinungs- und Pressefreiheit. Aussichtsreiche Bereiche allemal. Zu nutzen sind diese jedoch erst dann, auch da sind alle einer Meinung, wenn die Linke auch wieder einigermaßen Tritt und neuen Mut gefaßt hat. Wie eine reife Frucht wird ihnen eine angeschlagene Regierung Berlusconi wohl nicht in den Schoß fallen. Rina Gagliardi
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