: „Wir sind zu defensiv und zu moralisch“
■ Wie verhalten sich Personalräte in Zeiten der Sparpolitik? / Ein Gespräch mit Erika Bosecker und Ulrike Buchner
taz: In Zeiten der Sparpolitik, wie oft kann man da als Personalrätin sagen, daß es fünf vor zwölf ist?
Erika Bosecker: Man sollte das nicht so oft sagen, sondern nur, wenn es in bestimmten Bereich tatsächlich soweit ist. Und das ist im Schulbereich zum Beispiel bei den Sonderschulen, wo tatsächlich Lehrer in größerem Umfang fehlen und damit Reformvorhaben nicht mehr weitergeführt werden können. Das ist ein typisches Beispiel dafür, daß es fünf vor zwölf ist.
Aber vor ein, zwei und drei Jahren gab es die gleiche Hiobsbotschaft auch schon.
Bosecker: Nein, die gab es nicht. Wir haben im letzten Jahr den Begriff der Schmerzgrenze verwendet, die in einigen Bereichen erreicht ist. Damit sage ich noch nicht, daß es fünf vor zwölf ist.
Ich kann natürlich auch 40 Schüler in eine Klasse stecken, und ein paar von ihren werden sogar trotzdem was lernen. Aber eine kindgerechte individuelle Erziehung und Bildung gibt es dann nicht mehr.
Kann Sparzwang nicht auch eine Chance sein für Reformen?
Ulrike Buchner: Sparzwang an sich nicht. Was ich aber richtig finde, ist, daß wir zum jetzigen Zeitpunkt viel stärker über die Umgestaltung des Öffentlichen Dienstes und Reformen nachdenken müssen.
Das Problem mit Begriffen wie „fünf vor zwölf“ oder „Schmerzgrenze“ ist doch, daß sie mittlerweile Plakate geworden sind, die die gewerkschaftliche Bewegung seit Jahren vor sich herträgt. Wir müssen das aber mit Inhalten füllen.
Kann Sparzwang nicht doch positiven Druck für die notwendigen Reformen machen?
Bosecker: Ich finde das abwegig. Man kann für den Schulbereich nicht davon reden, daß es einen Prozeß des Aussitzens gegeben hätte, sondern es ging darum, auf neue Anforderungen aus der Gesellschaft, wie die der Integration, zu reagieren. Was sich aber gezeigt hat, ist, daß die Strukturen, in denen Schule und Behörde heute organisiert sind, nicht in der Lage sind, auf diese Anforderungen angemessen zu reagieren. Und deshalb unterstützen wir als Personalrat ja auch kritisch und konstruktiv das Organisationsentwicklungs-Projekt für die Schulen. Doch das wäre sicherlich viel einfacher, wenn nicht gleichzeitig der ungeheure Sparzwang da wäre. Denn ohne Ressourcen läuft keine Reform.
Buchner: Ich finde die Frage durchaus berechtigt. Es ist traurig, aber wahr, daß wir Personalräte erst angefangen haben, über Reformen verstärkt nachzudenken, als die Sparzwänge so stark wurden. Aber daß die Sparzwänge eine Chance für Modernisierung sind, glaube ich trotzdem nicht. Denn die Sparzwänge führen leider nicht dazu, daß man offen über neue Strukturen im Öffentlichen Dienst – zum Beispiel Dezentralisierung – nachdenken kann, weil das Ziel gar nicht inhaltlich ist, sondern lediglich sieben oder zehn Millionen einzusparen. Das ist Rasenmäher und keine Reform.
Also gibt es überhaupt keine Chance für eine Reform des Öffentlichen Dienstes: Wenn viel Geld da ist, wird es von der Langeweile verhindert, wenn wenig Geld da ist, fehlt das Geld dafür.
Buchner: Doch, es gibt eine Chance. Aber dafür muß man endlich dazu übergehen, den Kollegen Freiräume zu schaffen, damit sie ihre Arbeit so organisieren können, daß sie ihnen auch noch Spaß macht. Unser Problem ist, daß Personalvertretungen immer noch defensiv mit dem moralischen Ansatz die Sparzwänge kritisieren nach dem Motto: „Das kann die Ampel doch nicht machen“, anstatt die Diskussion an der Basis einfach zu beginnen.
Auf der letzten Lehrer-Personalversammlung haben die Haushaltspolitiker der Ampel von Ihnen verlangt, für Geld, das Sie im Schulbereich mehr ausgeben wollen, Einsparvorschläge an anderer Stelle zu machen. Dagegen haben Sie gefordert, die Haushaltspolitiker sollten sich „aus dem Gefängnis der Eckwerte“ befreien. Machen Sie es sich da nicht ein bißchen einfach? Wäre es nicht auch Aufgabe von Personalräten, für sparsames Wirtschaften zu sorgen?
Bosecker: Das war natürlich eine polemische Äußerung von mir. Aber sobald wir als Personalrat die Eckwerte des Bildungshaushalts akzeptieren, dann können wir gleich mit unserer Arbeit aufhören.
Warum denn?
Bosecker: Wir haben ja mit unserer Forderung nach flexiblerer Teilzeitarbeit bei Gehaltsverzicht und der Einführung eines Sabbatjahres Einsparvorschläge gemacht. Aber wir wollen natürlich, daß das eingesparte Geld dann für Neueinstellungen verwandt wird. Das war sicherlich erst ein Anfang, aber diese Politik stößt durchaus auf Akzeptanz bei den Kollegen. Aber wenn dann die Politik so schwerfällig darauf reagiert, dann macht einem das nicht leicht, diesen Weg weiterzugehen. Ein anderes Beispiel: Die erweiterte Autonomie von Schule darf nicht als Selbstzweck oder als Sparkonzept begriffen werden, sondern muß ein Weg sein, damit Schule für Schülerinnen und Schüler bessere Leistungen erbringt und sich gleichzeitig die Arbeitszufriedenheit der Kolleginnen und Kollegen verbessert.
Und das geht nur mit mehr Geld in den Eckwerten?
Bosecker: Indem Sie die Frage immer wiederholen, wird sie auch nicht besser. In einigen Punkten braucht man dafür kein Geld, aber in anderen Bereichen schon. Aber sobald ich die Eckwerte akzeptiere, übernehme ich auch die Verantwortung dafür. Und das kann man als Personalrat nicht.
Das Bremer Spiel, das Henning Scherf perfektioniert hat, funktioniert ja so, daß der Bildungssenator und die Sozialsenatorin sich über jeden Protest aus ihrem Bereich freuen, weil es ihre Position im Senat stärkt, für die eigenen Eckwerte etwas mehr herauszuschlagen. Die Frage ist nun, ob es nicht auch einen Punkt gibt, an dem diese Methode nach hinten losgeht, indem ein solcher funktionalisierter Protest dazu führt, daß die Betroffenen am Ende unter den letztlich ja doch kaum geänderten Eckwerten überhaupt keine Lust mehr zur Arbeit haben.
Bosecker: Wir brauchen Herrn Scherf nicht, um unseren Protest gegen die Kürzungspolitik phantasievoll zu organisieren. Ich glaube auch nicht, daß jetzt ein Prozeß der Demotivierung einsetzt. Vielleicht gibt es Enttäuschung, daß bei den Protesten nur so wenig herausgekommen ist. Aber wenn es diese Proteste nicht gegeben hätte, wäre noch weniger dabei herausgekommen.
Buchner: Ich habe das mit Scherf selber erlebt, daß er als Sozialsenator richtig zum Protest aufgerufen hat. Es spricht natürlich nicht gegen die Kollegen, wenn sie dann trotzdem Aktionen machen. Aber es spricht gegen den Senator, daß er die Verantwortung für die Senatsbeschlüsse, an denen er selber beteiligt ist, hinterher nicht vertritt.
Nochmal zurück zu der Frage: Kann der ewige Protest gegen die Eckwerte nicht doch zur Lustlosigkeit führen?
Buchner: Ja, aber so wie die Eckwerte gesetzt werden, kann man sie nicht akzeptieren.
Aber was geht das am Ende die Personalräte an. Für die Festsetzung der Eckwerte wählen wir schließlich alle ein Parlament.
Buchner: Nein, die Personalräte müssen an Stellen, wo es besonders drückt, eine Erhöhung der Eckwerte fordern. Trotzdem stimmt es, daß Personalräte mit dazu beigetragen haben, daß die innere Kündigung von Kollegen so stark zugenommen hat. Solche Sprüche wie „alles bricht zusammen“ führen dazu, daß wir keine Erfolge mehr erleben.
Das bedeutet zum Beispiel, daß nicht die Personalvertretung weiß, was für die Kollegen richtig ist, sondern daß die das selber wissen. Das bedeutet, daß ich nicht Interessensgegensätze zwischen Kollegengruppen entscheide, sondern Wege finde, wie sie die selber miteinander austragen können. Ich muß Personalvertretung dazu nutzen, mehr Selbstbestimmung am Arbeitsplatz zu erreichen, und wegzukommen von dieser Mitbestimmung, die so angelegt ist, daß die Selbstbestimmung jedes einzelnen stark beschnitten wird.
Ist es nicht ein Mißverständnis, wenn Personalräte meinen, sie müßten Sozialpolitik und Bildungspolitik machen, für Eckwerte streiten, Mitarbeiter motivieren usw...
Bosecker: Natürlich sind Personalräte nicht dazu da, die Welt zu verändern, aber um die Interessen der Beschäftigten in ihrem Bereich zu vertreten. Es gehört zu unseren Aufgaben, deutlich zu machen, welche bildungspolitischen Konsequenzen die Sparpolitik hat, und daß das eine Intensivierung der Arbeit ist, die bei Kollegen dazu führt, daß sie ihre Arbeit nicht mehr vernünftig wahrnehmen können und daß sie frühpensioniert oder krank werden usw.
Werden nicht Leute auch dadurch krank, daß sie in der Arbeit zu wenig gefordert sind?
Buchner: Ja, das gibt es. Wenn die Leitung entscheidet, ohne die, die vor Ort arbeiten, zu beteiligen, dann entmotiviert das, und es macht auch krank. Und Personalvertretung macht leider häufig das gleiche. Auch da werden Kompetenzen nicht dort abgefragt, wo sie sind. Und das entmotiviert ebenso.
Ich glaube, daß wir uns darauf konzentrieren müssen, die Kolleginnen und Kollegen zu vertreten und nicht gleichzeitig das Klientel. Personalräte können nicht Bildungs- oder Sozialpolitik machen. Das ist sehr umstritten, aber ich finde, der Ansatz muß da sein, daß wir uns um die ganz konkreten Arbeitsbedingungen der Kollegen kümmern. Und wir müssen wegkommen von der liebgewordenen Gewohnheit, schwerpunktmäßig auf der politischen Ebene zu arbeiten.
Ein Beispiel?
Buchner: Wenn sich die Kollegen für ihre Arbeitsplatzgestaltung wieder mehr verantwortlich führen, dann kann es natürlich passieren, daß da andere Ergebnisse herauskommen, als ich sie als Personalrätin richtig finde.
Und müßte der Personalrat das dann akzeptieren?
Buchner: Nach dem Personalvertretungsgesetz können sie leider sagen, wir machen das trotzdem ganz anders. Das ist eine spannende Frage. Ich würde heute darüber mit den Kollegen diskutieren, und das Ergebnis muß ich dann akzeptieren. Aber das bedeutet auch, daß Personalräte ihre Positionen zur Diskussion stellen. Es gibt an der Basis viel zu wenig streitbare, organisierte Diskussionen.
Bosecker: Die Diskussionen gibt es schon. Aber die Rückkopplung zu den Personalräten könnte besser organisiert sein. Aber ich habe davor überhaupt keine Angst.
Das schmälert allerdings Ihre Macht.
Bosecker: Ich begreife unsere Macht sowieso nicht als Macht gegenüber den Kollegen, sondern als Macht gegenüber dem Arbeitgeber. Und die Stärke eines Personalrats ist ja davon abhängig, wieweit er von den Kollegen unterstützt wird. Und wenn es Konflikte gibt, muß man die austragen.
Aber Ulrike Buchner fordert, solche Konflikte auch zu initiieren. Zum Beispiel, die Lehrerkollegien aufzufordern, selber mal einen Vorschlag für sinnvolle Personalumbesetzungen zu machen.
Bosecker: Lehrer, die sich langweilen, die sind mir trotz der rechnerischen Überhänge nicht bekannt. Überhänge kann man doch auch pädagogisch ausgesprochen sinnvoll dafür nutzen, zusätzliche Fördermaßnahmen anzubieten. Das ist doch sinnvoller, als Kollegen jetzt abzuziehen, die ich in zwei Jahren wieder brauche.
Es ist nicht Aufgabe der Personalräte, für eine vernünftige Personalsituation an den Schulen zu sorgen. Das ist Aufgabe der Behörde.
Sie wollen sich nur an den Vorgaben von oben reiben, selber aber keine machen?
Bosecker: Natürlich können Personalräte keine Vorgaben machen. Wir können aber daran mitwirken, sinnvolle Qualifizierungskonzepte zu entwickeln. Und das tun wir auch. Wir dürfen dabei aber nicht die Grenzen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber verwischen.
Buchner: Das stimmt. Aber darüber hinaus sind wir auch verantwortlich.
Ich glaube, mein Konzept würde letztlich auch die Macht der Personalräte vergrößern. Das ist allerdings ein anderes Verständnis von Macht. Es verringert die Möglichkeiten des Personalrats, eigenständig zu entscheiden und so angesehen zu werden, wie es leider weit verbreitet ist: Hier ist der Arbeitgeber, da ist der Personalrat, und da unten sind die Kollegen.
Ein Beispiel: Der Senat hat irgendwann Mischarbeitsplätze für Schreibkräfte beschlossen. Das kann er tun, aber passieren tut erstmal trotzdem überhaupt nichts. Wir haben uns dann hingesetzt und eine Arbeitsgruppe der Schreibkräfte gebildet und für jede einzelne Kollegin geguckt, wie sich ihr Arbeitsplatz verändern könnte. Das führt natürlich dazu, daß andere Kollegengruppen selber schreiben müssen. Das war eine ungeheure Auseinandersetzung. Bis der Arbeitgeber anfängt, so einen Prozeß zu organisieren, warten wir noch Jahre. Das tut der einfach nicht, der beschließt nur. Da muß ich als Personalrätin eingreifen, aber dann trete ich natürlich einzelnen auf die Füße.
Fragen: Dirk Asendorpf
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