: Kriegskinder unter den „Intensivtätern“
■ Innensenator stolz: Klauende libanesisch-kurdische Jugendliche wurden eingesperrt
Jung sind sie, die „Intensivtäter“, im Schnitt 24 Jahre. Sie haben bereits 50 und mehr Straftaten begangen, zumeist Diebstähle, aber auch Raubtaten. Die meisten der sogenannten Intensivtäter, nämlich 70 Prozent, sind Drogenabhängige, die sich mit Diebstählen und Einbrüchen ihren Stoff zusammenverdienen. Doch zu den rund 250 Bremer Intensivtätern gehören auch die 16 libanesisch-kurdischen Jugendlichen, die Anfgang des Jahres als „Kindergang“ Schlagzeilen machten. Sie trafen sich regelmäßig auf der Obernstraße zum „Spaziergang“: Mithilfe von Ablenkungsmanövern „schafften“ sie jeden Laden. Bis die neugegründete Sonderermittlungsgruppe Intensivtäter ihr Augenmerk auf die kids richtete. „Jetzt ist die Gruppe so gut wie nicht mehr tätig“, verkündete gestern Innensenator van Nispen.
Die Ermittlungsgruppe hat die Verdächtigungen revierübergreifend zusammengestellt und den Staatsanwälten in dicken Mappen vorgelegt. Anfangs sträubten sich die Bremer JugendrichterInnen, doch dann brummten sie den Jugendlichen auch Haftstrafen auf: Der jüngste Intensivtäter, der bei der Polizei als „Haupttäter“ der Gruppe gilt, ist 15 Jahre alt und sitzt derzeit in Untersuchungshaft. Im März war er zu acht Monaten auf Bewährung verurteilt worden. Wenige Tage darauf wurde er bei einem Raub in Nienburg erwischt. Die Bewährung wurde wiederrufen.
„Das Signal ist wohl wahrgenommen worden“, sagt der Innensenator. Daß die Gruppe mittlerweile eben ins niedersächsische Umland fährt, sieht er gelassen: „Selbst Verdrängungseffekte führen dazu, daß Teile der Gruppe herausbrechen.“ Gar nicht gelassen beobachtet der bei der Kripo für die Jugendlichen zuständige Gesprächspartner diese Entwicklung: „Mein Einfluß auf die Jungs schwindet, die werden älter und sind auch mit Älteren zusammen. Man hat im Grunde sein Pulver verschossen. Aber durch Knast kann man sie auch nicht heilen.“
Für straffällige junge Deutsche gibt es mittlerweile allerhand Hilfen wie betreutes Wohnen oder sozialpädagogische Fahrten. Doch den libanesisch-kurdischen Jugendlichen bleibt das Füllhorn staatlicher Jugendhilfe verschlossen: Ihre Asylgesuche wurden abgelehnt. Abgeschoben werden können sie nicht, weil sie staatenlos sind. Also werden sie in der BRD geduldet. Doch bloße „Duldung“ verpflichtet die Ämter nicht, die Menschen zu integrieren. Aber die Familien werden bleiben. Vor Generationen flüchteten die Kurden in den Libanon, der Libanon galt bis zum Ausbruch des Bürgerkriegs als „Paris“ der arabischen Region. Während des Bürgerkriegs wurden sie zu Vogelfreien erklärt und vom Militär verfolgt.
Von der Sozialbehörde war bislang nicht zu erfahren, wie sie mit den Problemen, die diese Menschen haben und machen, umgehen will. Es soll aber mehrere Runde Tische gegeben haben. Ansonsten nur wenige konkrete Hilfen: Allein in Kattenturm, wo zehn Familien mit insgesamt 67 minderjährigen Kindern wohnen, ist auf Initiative der Jugendgerichtshilfe vom Verein der (kurdischen) Solidarischen Hilfe eine palästinensische Honorarkraft zur Betreuung engagiert worden. Und der Verein für Bewährungshilfe bietet einen sozialen Trainingskurs an.
„Das reicht natürlich nicht“, sagt der Kriminologe Olaf Emig. Die strafauffälligen Jugendlichen seien ohnehin nur ein Symptom für die Isolation der kurdisch-libanesischen Familien in der deutschen Gesellschaft. Solange die Familien nur „geduldet“ sind, ist ihnen die eigene Familie die einzige feste Größe und die Religion die einzige Rechtsnorm.
Hinzu kommt die emotionale Verwahrlosung einzelner Kinder durch die Kriegserlebnisse. Ohne besondere Betreuung in der Schule und zuhause sind sie nicht zu integrieren, so ein Jugendgerichtshelfer. Die Probleme fangen beim unregelmäßigen Schulbesuch an und hören bei Drohungen gegen Personal und Körperverletzungen gegen MitschülerInnen nicht auf. Hausverbote und Schulverweise sind die Folge. Ganz zu schweigen von mehreren Kindern, die zum Teil schon über 30 Straftaten begangen haben. Die werden noch nicht von der Ermittlungsgruppe Intensivtäter verfolgt, weil sie unter 14 sind. Aber sie werden älter.
Christine Holch
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