Mädchen im roten Regenmantel (!)

■ Ein Vater des Splatterfilms und Gewaltdramaturg: Filme von Dario Argento im Checkpoint

Nach einer langen Nacht mit Filmen des Horror-Regisseurs Mario Bava im Mai präsentiert das Checkpoint-Kino heute ab Mitternacht drei Filme von dessen Schüler und Kollegen Dario Argento. Der 1943 geborene Regisseur, der eine Zeitlang als Italiens Antwort auf Hitchcock galt, schrieb schon 1968 – also mit 25 – zusammen mit Bertolucci das Storyboard zu „Spiel mir das Lied vom Tod“, debütierte 1970 mit „Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe“, schuf 1975 mit „Profondo Rosso“ ein erstes Meisterwerk und beschäftigte sich seit „Suspiria“ (1976) vor allem mit Horrorfilmen und gilt als einer der Väter des Splatterfilms.

Wie die meisten seiner Kollegen hat auch Argento mit den diversen Tücken von Markt und Zensur zu kämpfen. Seine großartigsten Filme („Opera“ zum Beispiel), die teilweise um bis zu vierzig Minuten (wie „Profondo Rosso“ in Frankreich) gekürzt wurden, floppten; seine miesesten Streifen („Dämonen“ und „Dämonen II“; der eine spielt übrigens am Nollendorfplatz) wurden Publikumserfolge.

Bereits in „the cat o' nine tails“ („Die neunschwänzige Katze“, 1970), einem dramaturgisch zuweilen etwas hölzern wirkenden Thriller, zeigen sich die Elemente, die Argento später berühmt machten: die Betonung des Musikalischen im Schnitt, eine atmosphärisch dichte Kamera, die meist die Perspektive des bis zum Ende unbekannten Täters einnimmt, raffinierte Konstruktionen in der Geschichte (der blinde Alte gegen den gesichtslosen Killer) sadistische Grausamkeiten en detail und treffsichere Zitate („Blow up“).

In einem römischen Labor wird über Chromosomenkombinationen geforscht, die die Aggressivität des Menschen beeinflussen. Zur gleichen Zeit treibt ein Serienkiller in der Stadt sein Unwesen. Ein blinder Ex-Zeitungsmann (Karl Malden: klasse!), der mit einem kleinen Mädchen mit rotem Regenmantel (!) zusammenlebt, und ein junger Starreporter jagen den Killer, der irgendwann das kleine Mädchen entführt.

Großartig ist die Kamera=der Blick des Täters, der oft unstet umherschweift und hilflos an Nebensächlichem hängenbleibt, bevor er zur Tat schreitet. Nicht nur Splatterfilmgeschichte machte die unglaublich grausame Schlußsequenz, in der der Killer einen Fahrstuhlschacht herunterfällt und sich im freien Fall verzweifelt versucht an den stählernen Fahrstuhlseilen festzuhalten. Das ist eine Szene, die wie viele andere Argento-Passagen nicht ins Schema der Gewaltgegner paßt. Es ist schlicht unmöglich, sich nicht mit dem Opfer zu identifizieren. Argentos Grausamkeit, die nichts zu tun hat mit dem, was sich Angela Merkel so unter Gewalt im Film vorstellt, ist nicht Selbstzweck, sondern integraler Bestandteil der Dramaturgie seiner Filme (deshalb werden seine Filme durch Zensurmaßnahmen tatsächlich verstümmelt).

Während die Gewaltorgien der Filme einer anderen Generation wie „Braindead“ vor allem zynisch sind (denn sie zielen auf das überlegene Lachen von Zuschauern, für die es keinen Tod mehr gibt im Kino, laden dazu ein, sich mit dem Täter zu identifizieren und verfestigen den Gefühlspanzer der Zuschauer), ist die Gewalt von Argento noch ernst gemeint. Sie richtet sich gegen die Zuschauer, die der Regisseur gerne dazu zwingen würde, immer hinzugucken.

In „Unsane“ (1982), einem extrem spannenden Schriftstellerthriller, ist Argento auf der Höhe seines Könnens. Die Geschichte ist raffiniert verschlungen. Der erfolgreiche junge Thriller-Autor Peter Neal (Anthony Franciosa) kommt nach Rom, um Reklame für sein neues Buch zu machen, in dem es um einen wahnsinnigen Serienkiller geht. Als er ankommt, nimmt eine Mordserie ihren Anfang, die offensichtlich von Motiven seines Romans inspiriert ist. Um die Verwandtschaft zu betonen, stopft der Mörder zuweilen Seiten des Romans in die Münder seiner Opfer. Der Schriftsteller, der gleichzeitig Verdächtiger ist, spürt dem Täter hinterher. Auch der Täter sucht die Nähe des Autors und traktiert ihn mit Seiten seines Romans, die er unter dessen Hotelzimmertür hindurchschiebt.

Argento versteht es wie kaum einer, die Erwartungen der Zuschauer zu enttäuschen, kunstvoll aufgebaute Spannungsbögen zu zerschlagen, um an unerwarteter Stelle zuzuschlagen. Verdächtige läßt er gerne umnieten, bis am Ende der Dichter für sein Schreiben zur Verantwortung gezogen wird. Die zahlreichen Morde sind brillant inszeniert; die Kamera (Luciano Tovoli), die wieder die Perspektive des gesichtslosen Mörders einnimmt, ist großartig: in scheinbar sinnlos irrenden Fahrten tastet sie den Boden ab und richtet sich plötzlich auf – da ist es schon wieder passiert.

Zehn Minuten lang geschieht manchmal auch gar nichts, und was berichtet wird, erhält nur teilweise im furiosen, sehr drogenmäßig somnambulen Finale seinen Sinn. Viel bleibt übrig als erzählerischer Luxus, mit dem man sich noch eine Weile amüsieren kann. Wer trägt die roten Stöckelschuhe am Strand, die sich in einer Traumsequenz in den Mund eines Protagonisten senken? Was war in der Tasche, die dem Dichter vor seinem Flug vertauscht wurde, und welche Bedeutung hat das alles?

Als dritten Film der langen Argento-Nacht zeigt das Checkpoint noch „Two Evil Eyes“ (1989); zwei Poe-Verfilmungen, für die sich Argento mit George Romero zusammengetan hat. Während Romero („Zombie“) den „Fall Valdemar“ bearbeitet hat, hat sich Argento (mit Harvey Keitel) an „The Black Cat“ versucht. Wer die Nacht unbeschadet durchsteht, wird wissen, wieso Horrorfilme gerade im heißen Sommer so gut funktionieren. Detlef Kuhlbrodt

Heute ab 24 Uhr: „Die neunschwänzige Katze“, „Unsane“, „Two Evil Eyes“, Checkpoint, Leipziger Straße 55, Mitte.