■ Sommer auf Island
: Die Kiesel der Elfen

Dritte Lieferung unseres Urlaubskorrespondenten

Auf der Straße Nr. 1 fährt im Sommer ein Linienbus von Ort zu Ort. Normalerweise einmal am Tag in eine Richtung. Ich habe mir das preisgünstige „Hringmidi“, das Rundreiseticket für 320 Mark, besorgt. Mein Reiseziel sind die legendären Ostfjorde, namentlich die Gemeinde Borgarfjördur (164 Einwohner) und die dort ansässige Firma „Alfasteinn“, deutsch: Elfenstein.

Bei der Ankunft in Egilsstadabär, bekannt durch seinen schönen Wald mit bis zu drei Meter hohen Bäumen, erfahre ich von der Leiterin des Campingplatzes, einer netten Sächsin (vor 30 Jahren aus Leipzig hierhergekommen), daß nach Borgarfjördur kein Linienbusverkehr existiert. Nur eine Flugzeugverbindung, dreimal wöchentlich. Man kann natürlich auch ein Taxi (etwa 200 Mark, einfache Strecke) nehmen. Mein Berliner Mitreisender Matthias mietet kurzentschlossen einen älteren Lada, der uns zum Sondertarif überlassen wird.

Der Geschäftsführer von Alfasteinn, Helgi Arngrimsson, hat meine Karte bekommen und erwartet uns bereits. In seiner Werkstatt zeigt er uns, wie man einen runden 30-cm-Kiesel in der Mitte durchsägt. Anschließend werden wir zusammen mit einem dänischen Parfumkreateur namens Joel Leonard in den Geländewagen von Helgi Angrimsson verfrachtet. Auch Joel Leonard ist auf Recherche in Island. Er soll im Auftrag seiner Firma ein speziell isländisches Parfum kreieren: „Das gibt es nämlich noch nicht. Ich sammel' hier so allerlei Kräuter zusammen. Isländisches Parfum sollte natürlich sehr frisch und klar riechen. Der Vorzugsflakon könnte dann in einem hohlen Kieselstein versenkt sein ...“ Ich deute an, daß ich gerne ein Steinchen als Besprechungsexemplar hätte.

Der Wagen hoppelt über ungeteerte Straßen. „Dies hier ist die Elfenburg! Dort singen und tanzen die Wesen oft in der Dämmerung, manchmal hört man das auch sehr deutlich. Hören Sie nur!“ sagt Helgi Arngrimsson und deutet auf einen Steinhügel. „Es gibt übrigens auch noch andere Wesen hier, zum Beispiel Mischungen zwischen Menschen und Elfen“, behauptet er und zeigt uns einen Farbprospekt, auf dem die verschiedensten Arten dieser Wesen in Form von Zeichnungen abgebildet sind. Bestimmte Zeichen markieren das Vorhandensein der Geister. „Dort oben steht die Kirche der Trolle. Sehen Sie den Stein, der wie ein Haus aussieht?“ Er schaut mir fest in die Augen. „Ja, das da vielleicht“, sage ich und deute in die steinige Landschaft. Während der kleinen Exkursion passieren wir auch die protestantische Kirche. „Das ist die Ortskirche. Naja, mitten in das Zentrum gestellt, typisch“, meint Helgi Arngrimsson nur mäßig begeistert.

Auf einem Felsplateau, der Alfaborg (Elfenburg), der die Ortschaft etwa 30 Meter überragt, finde ich neben dem angekündigten Wehklagen der trauernden Elfen auch blühendes „Friggjargras“ (Platantherea hyperborea), eine einheimische Orchidee, von der es in Island insgesamt acht Arten gibt. Am Myvatnsee hatte ich tags zuvor die chlorophyllose Orchidee „Kräklurót“ (Corallorhiza trifida) beim Spaziergang entdeckt und damit das örtliche Naturschutzzentrum überrascht, das die Schmarotzerpflanze noch nicht in seiner Kollektion hatte.

„Kennen Sie diesen Vogel?“ frage ich Helgi Arngrimsson und zeige ein Foto. „Nein, den gibt es hier nicht. Was ist das?“ „Eine Blaumeise, Parus caerules. Gibt's bei uns in Massen.“ „Schöne Farben. Als seltener Irrgast aus dieser Familie kommt zu uns gelegentlich die „flotmeisa“ (Parus major, Kohlmeise). Sie brütet allerdings nicht. Und wie heißt ihr Vogel auf isländisch?“

„Bláigda“, erwidere ich stolz, „im Pýzk-Islenzk Ordabók von Jón Ófeigssan von 1953.“ Helgi Arngrimsson blättert in einem dicken isländischen Lexikon nach. „Da ist sie sogar abgebildet. Hier heißt sie allerdings ,blámeisa‘. Das Buch ist 1982 herausgekommen.“

„Sonderbar. Nächste Woche habe ich einen Termin bei ,Islensk málstöd‘, der isländischen Sprachkommission.“

„Können Sie mir dieses Tier auf die polierte Fläche großer, halbierter Kiesel aus dem Elfengebiet gravieren?“ frage ich.

„Kein Problem. Allerdings kann ich die Farben Gelb und Blau nicht in den Stein ätzen. Sie müßten mit Gold und Silber vorliebnehmen“, sagt Helgi Arngrimsson. „Ich bin schon sehr gespannt auf das Ergebnis.“ Wolfgang Müller

(Fortsetzung folgt)