: Wenn Frauen zu sehr morden
Elisabeth Bathory, „die blutige Gräfin“ der Slowakei, mordete in ihrer Burgruine bulldoggengleich junge Mädchen. Noch immer hängt ein Fluch über dem slowakischen Cachtice ■ Von Tomas Niederberghaus
Fledermäuse flattern durch die milde Frühsommernacht. Kruzifixe hängen in schummerig beleuchteten Häusern. Auch durch die winzigen Fenster der Dorfgaststätte „U Cachtice Panej“ scheint noch Licht. Alte Männer hocken auf Holzbänken. Glasige Augen quellen aus ihren faltigen Gesichtern. Mit Slivovic reinigen sie die Kehlen und ölen das Mundwerk. Als wir die knarrende Tür ins Schloß fallen lassen, verstummt das Wortgewitter für wenige Sekunden. Ja, dies ist der Ort, in dem man um die Tochter des Kneipiers bangt. Wer nach dem Weg zur Burgruine fragt, erntet vorwurfsvolle Blicke.
Allzugut kennen die slowakischen Siedler die schmale Straße, die sich kurvenreich in die Höhen der Weißen Karpaten windet, dorthin, wo Elisabeth Bathory im 16. Jahrhundert wütete. Ihre Bediensteten lockten Mädchen ins Schloß. Zurück kam niemand. Einmal, heißt es, erhob sich die Bathory im Wahn ihrer Wut „wie eine Bulldogge über ein Mädchen und biß es in Schulter und Brust“. Ob dieser blutigen Überlieferungen meiden viele Einwohner von Cachtice das verfallene Anwesen noch Generationen später.
„Schauen Sie sich doch lieber die Kirche und das Museum an“, empfiehlt ein grauhaariger Greis, „aber was wollen Sie denn dort oben in den geheimnisvollen Gemäuern?“
Man sagt, daß blaues Blut durch Elisabeths Adern floß. Und daß die zahlreichen Inzestheiraten in ihrer Familie in geistiger Degeneration, wie Phlegmata oder unkontrollierten Wutanfällen, gipfelten. Ihr Bruder beispielsweise war ein begieriger Satanist; ihre Tante Klara hatte eine notorische Neigung zur lesbischen Zuhälterei; ihre Cousine Anna praktizierte Hexerei und tötete ihr eigenes Kind.
Elisabeth Bathory war schlimmer. Die gehässige Gräfin der Slowakei machte ihre Familie und die kleine Gemeinde Cachtice weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt: Sie hält einen Platz im Guinness-Buch der Rekorde für die meisten Morde, die jemals eine Frau begangen hat. 611 Menschen fielen ihr zum Opfer. Nicht nur Prinz Vlad V. der Walachei, sondern auch die häßlichen Machenschaften der Bathory dienten Bram Stoker als Grundlage für seinen Erfolgsroman „Dracula“.
Wie Kunstwerke ragen karge Kiefern aus dem Boden. Ellentiefe Furchen hat der Regen in den Lehmweg unterhalb der Burgruine gespült. Von hier aus wirkt sie wie ein dämonisches Disneyland, das die Geister lange verlassen haben. Frühmorgens zieht eine wilde Komposition aus Hundegekläff und den Orgeltönen eines Klosters durch das Tal. Früher waren es die schrillen Todesschreie der Dorfmädchen, die Cachtices Einwohner in Atem hielten. Vergilbten Dokumenten zufolge gab es eine Initialzündung für das Gemetzel: Eine Bedienstete kämmte Elisabeths langes Haar – und zupfte dabei etwas zu fest. Die Bathory geriet in Rage und kniff und kratzte sie, bis das Blut der jungen Magd über ihre Hand lief. Ihre Haut soll sich wundersam verjüngt haben – Elisabeth faszinierte die ewige Jugend.
Elisabeth Bathory wurde 1560 geboren. Ihre Kindheit verbrachte sie im ungarischen Nagyeseed. Dort lernte sie Latein, Deutsch und Ungarisch. Schon im zarten Alter von zwölf Jahren kam sie als Verlobte von Frantisek Nadasdys auf das Cachticer Schloß. Da der 18jährige Graf als Soldat nichts als Feldzüge gegen die Türken im Sinn hatte, vertrieb sich Elisabeth die Langeweile: sie hatte verschiedene Techtelmechtel mit Männern und Frauen. Insbesondere junge Mädchen peitschte, strangulierte und vergiftete sie mit Hilfe der treuen Bediensteten.
Wahrheit oder Fiktion? Auch eine mystische Kreation der Bauern, die die Wahrheit nicht zugeben wollten: Die Gräfin war eine Art Kannibalin. Zeugen aus der Gegend und Bathorys Tagebücher bestätigen das. Die Opfer werden kurz charakterisiert: „Schwach und geradezu enttäuschend“, heißt es da etwa. Entsprechend mußten sie büßen. Zu den Folterinstrumenten zählte eine eiserne Jungfrau, aus deren Brust ein Messer geschossen kam – und die Mädchen nach den Qualen durchstoch. Elisabeth hatte nicht nur Blut gerochen. Sie badete darin.
„Es war ein widerlicher Adel, der hier oben residierte“, sagt Petr Lajtha, „die Menschen mußten für die Bathory schuften und wurden obendrein bestraft.“ Petr Lajtha ist Priester. In seinem langen schwarzen Mantel und der aus riesigen Ohrenklappen bestehenden Kappe wäre der 84jährige Slowake als Schloßgespenst keine Fehlbesetzung. Fast jeden Tag stapft er den Berg hinauf und liest im Innenhof der weißen Kalksteinruine das Brevier. Wenn Besucher um die Ecke schleichen, berichtet er über Feldzüge gegen Tataren und Türken. Und vom Glauben. Der Glaube, sagt Lajtha, schütze den Menschen vor seinem Schicksal. Doch vor der Bathory sind die Menschen dadurch nicht gefeit.
Jede Auserkorene landete über kurz oder lang dort, wo Lajtha heute doziert. Im Innenhof rissen Elisabeths Lakaien den Dorfjungfern bei Schnee und Eis die Sachen vom Leib, zogen sie wütend an den Haaren und prügelten sie zu Boden. Andere gossen ihnen kaltes Wasser über den Kopf. Elisabeth thronte in einem feisten Sessel und verfolgte das Happening. Pelze schützten sie vor der klirrenden Kälte. Ordinär lachte sie über die nackten Töchter aus gutem Hause, die sich vor ihr in panischer Angst zusammenkauerten.
Die vom Satan Besessene mordete in Serie. Niemand traute sich, die Gräfin nach dem Verbleib der jungen Frauen zu fragen. Zunächst nämlich stützten sich die Vorfälle auf bloße Anklagen des „gemeinen“ Landvolkes.
„Die Gräfin war adelig und protestantisch“, erzählt Lajtha, „damit war sie gleichzeitig außerhalb der Gerichtsbarkeit der zivilen Autorität und der herrschenden katholischen Kirche.“ Auch die Mönche, die neben der kurzzeitigen Wiener Residenz der Bathory lebten, unternahmen nichts. Das heißt nicht viel. Wenn nachts die Schreie der Mädchen aus dem Keller hallten, warfen die barmherzigen Brüder Blumentöpfe gegen die Fenster der Bathory.
„Sie müssen verstehen“, sagt Lajtha und lacht sich dabei eins ins Fäustchen, „daß die Cachticer auf Fremde, die sich nach der Bathory erkundigen, möglicherweise etwas empfindlich reagieren.“ Vor einigen Jahren seien zwei vermeintliche Filmemacher aus Bratislava angereist. Einen großen Zinnober hatten sie veranstaltet, wollten mit der heimischen Bevölkerung ein authentisches Werk über die Bathory drehen. Die Mädels aus Cachtice träumten bereits von einer großen Karriere als Filmstar – und endeten als bitter Enttäuschte. Denn die Sache war eine große Farce. „Die beiden Schurken landeten vor Gericht“, sagt Lajtha, „weil sie mit dem Vertrauen der Leute gespielt haben.“
Spätestens seit diesem Zeitpunkt behandelt Predseda Hrabina, der Bürgermeister von Cachtice, das Ölgemälde mit dem Konterfei der Bathory wie einen wertvollen Schatz: Es hängt nicht mehr im Museum, sondern steht eingepackt im Dorfamt. Für Besucher kramt er es jedoch gerne hervor. Und vor allem läßt er sich gerne mit der Bathory zusammen fotografieren. Streng sieht sie da aus, mit ihren hochgesteckten Haaren und dem stechenden Blick. Doch wie eine Bestie, nein, so sieht sie überhaupt nicht aus.
Natürlich war sie das. Nach dem Tod ihres Mannes im Jahre 1604 drehte die Bathory vollends durch. Mehr und mehr malträtierte sie junge Frauen aristokratischer Herkunft. „Man kann sich ja vorstellen“, sagt Lajtha, „daß die zahlreichen Anfragen der mächtigen Familien nicht mehr abgewiesen werden konnten.“
Juraj Thurzo und Mitglieder der eigenen Familie beendeten das Desaster. Sie fürchteten, daß die Habsburger Krone ansonsten gewaltsam gegen die Bathory vorgegangen wäre. Elisabeth kerkerten sie heimlich ein. Um das Ansehen der Familie zu retten, lenkten sie den Verdacht auf die vier Bediensteten. Das Gericht in Bytca urteilte sofort. Ein Henker rieß Ilona Jo und Dorotea Sentes mit einer Zange die Finger ab und warf ihre noch lebenden Leiber ins Feuer. Und Johann Ujvary-Fick köpfte er. Katarine Benicka, der keine direkte Schuld bewiesen werden konnte, landete im Gefängnis.
Das Prinzip der Gerechtigkeit war nur vordergründig eingehalten. König Matus II. mißtraute dem Blitzurteil. Ein erneuter Prozeß, in dem 224 Personen aus der Umgebung von Cachtice verhört wurden, brachte eine Lawine ins Rollen. Zahlreiche Personen hatten die Greueltaten mit inszeniert. Beispielsweise eine Frau namens „Myjavaer Meierin“, die ausschließlich für das Mischen der Giftcocktails zuständig war. Doch für die Bathory hatten die neuen Fakten keine Konsequenzen. Sie blieb auf der Burg interniert, wo sie am 21. August 1614 starb.
Ihr letztes Happening – und damit das Drama der ganzen Region – wurde in einer kalten schneereichen Dezembernacht des Jahres 1610 beendet. Juraj Thurzo und eine Horde bewaffneter Soldaten stürmten die Cachticer Burg. Sie ertappten die Bathory in einem finsteren Gewölbe. Blutüberströmt frönte sie ihrem Hobby. In dem schummerig beleuchteten Innenhof stand eine Traube junger Mädchen, zu Eisskulpturen erfroren.
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