: Nicht alles kinderleicht
■ Problemwitze: Bernd Schindowski macht Ballett für Kleine mit großen Themen
Mit Waschbrettern, Trillerpfeifen und Blechdosen zieht eine eigenartige Schlagzeugkapelle auf die Bühne. Zu polyrhythmischen Trommelwirbeln, mit Scheppern und Klappern, Ratschen und Klatschen beginnt ein wilder Afrotanz: Müllmänner mit Totenmasken machen Krach mit ihren Tonnen, ein Totenkopf-Hochzeitspaar wiegt sich im Takt, Cancan-Tänzerinnen mit bleichen Gesichtern werfen jauchzend die Röcke hoch. Ein Mann ohne Kopf wankt über die Bühne, ein Skelett fährt Rad, Gerippe kegeln mit Totenköpfen. In dieser Welt voller sprudelnder, fremdartiger Phantasien bekommt das Beklemmende komische und ausgelassene Züge.
Wie es einem gerade gestorbenen Mädchen im Reich der Toten ergeht, erzählt „Knochenhart“, ein Ballett für Kinder von Bernd Schindowski, dem Gelsenkirchener Ballettchef. „Ich fand das echt witzig“, sagt Felix, acht Jahre alt, aus Stukenbrock. Sonst ist ihm Sterben sehr unheimlich, diesmal sei das aber gar nicht so gewesen. Seine Mutter sieht es anders: „Das war doch wohl eher für Erwachsene.“ Kindern mache das zuviel Angst. Ihr Sohn lächelt verlegen. Recht gibt er ihr nicht. Felix' Mutter macht keine Ausnahme. So mancher Erwachsene hat schon während des Stücks mit dem Sohn oder der Tochter an der Hand das Theater verlassen. Nach jedem Auftritt bekommt Bernd Schindowski böse Briefe. „Aber immer nur von Eltern oder Lehrern. Die Kinder haben damit gar keine Probleme. Denen gefällt es in der Regel prächtig.“ Daß man über Sterben nicht spricht und schon gar keine Witze macht, haben sie noch nicht verinnerlicht.
Seit fünfzehn Jahren macht der Leiter des Ballett Schindowski fast in jeder Spielzeit auch eine Choreographie für Kinder. An den städtischen Bühnen von Nordrhein-Westfalen ist er damit der einzige. Darüber, was Tanz im Menschen anrührt, könne man nicht sprechen, meint der 47jährige. „Kopfballette“ mag er nicht. Raffinierte Abstraktionen lehnt er ebenso ab wie traditionelle Erzählmuster. „Ich liebe Bilder, die aus dem Nichts entstehen.“ Schindowski schafft eine Form von Tanz, die der Zuschauer nicht mit dem Verstand durchdringen kann, sondern erfährt. Genau wie Kinder im Spiel mit dem ganzen Körper die Welt erkunden. In seiner jüngsten Produktion für Kinder, „Wenn die Instrumente tanzen“ (eine Neubearbeitung von 1986), verkörpert jeder Tänzer ein Instrument, und der Dirigent versucht, all die Eigenbrötler im Orchester zu bändigen. Mit „erwachsenem Blick“ versucht man, Ordnung in das Durcheinander zu bringen, eine Entwicklung auszumachen, während die Kinder dasitzen, im Takt der Musik mit den Füßen schaukeln und auf die Stühle klettern, um die trampelige Oboe besser sehen zu können, die gerade in den Orchestergraben zu fallen droht.
Nicht mit jeder Choreographie für Kinder will Schindowski provozieren. Vor allem möchte er spannendes Theater machen, Lust an der Bewegung vermitteln und den jungen Zuschauern Dinge näherbringen, die sie interessieren – mal mehr, mal weniger pädagogisch. In „Wenn die Instrumente tanzen“ sind es Instrumentenkunde und die Erkenntnis, daß in der Orchestergemeinschaft jeder Rücksicht nehmen muß. Im ersten Teil von „Knochenhart“ wird die Geschichte des Tanzes vom barocken Menuett bis zum modernen Ausdruckstanz erzählt. Eine Tänzerin läßt nach und nach ihre Hüllen fallen und steht zum Ende des 20. Jahrhunderts nur noch in Unterwäsche da.
Sämtliche Solisten des Balletts Schindowski sorgen auch in den Kinderstücken für ein hohes tänzerisches Niveau. Der technische Aufwand ist mitunter enorm. Doch in einem macht Schindowski sehr wohl Unterschiede: „Erwachsene mit ihrer ganzen Bildung und Verbildung erreicht man nur mit Schocks“, sagt er. Ihm ist lieber, wenn das Publikum schimpft, als wenn es gelangweilt das Theater verläßt. Der Offenheit und Spontaneität von Kindern mit solch drastischen Mitteln zu begegnen hält er dagegen für völlig falsch. „Das brauchen die gar nicht.“
Daß der Ballettchef Kinder als Publikum nicht weniger ernst nimmt als Erwachsene, stößt außerhalb seines Hauses auf wenig Resonanz. Weil sie selbst keine solchen Stücke anbieten, fragen viele Stadttheater an, ob das Ballett Schindowski nicht ein Gastspiel für Kinder bei ihnen geben könne. Doch in drei von vier Fällen ist der Preis dann zu hoch. Kaum jemand möchte für eine Kinderproduktion ebensoviel zahlen wie für ein Erwachsenenballett. Das eigentliche Problem besteht aber wohl darin, daß dieser Bereich des Tanzes für Kinder gemeinhin als „zweite Klasse“ gilt. Auf dem vergleichbaren Gebiet Kinderliteratur beginnt sich die Erkenntnis durchzusetzen, daß Kinderbücher nicht nur hübsch eingepackte Pädagogik sind, sondern auch ernstzunehmende Literatur. Bernd Schindowski versteht das gleiche für das Ballett zu beweisen. Silke Schnettler
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen