: Wer hat schuld am Kahlschlag in Mitte?
■ Stadtentwicklungssenator Hassemer sieht Erfolg in der Denkmalpflege / Dubrau wehrt sich gegen Schuldzuweisung
Zur bloßen Interpretationsfrage spielt Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer (CDU) die drohenden Abrisse in Berlin-Mitte herunter. Während nach den Worten der Baustadträtin des Bezirks, Dorothee Dubrau, dem Zentrum der Stadt der „Kahlschlag“ drohe, klopfte sich der zuständige Senator gestern auf die Schultern. „In keinem einzigen Fall“, sagte Hassemer während einer Motorbootsfahrt zum Thema Denkmalschutz, „mußten gesetzlich geschützte Denkmäler aufgeben werden.“ Hassemer versprach darüber hinaus, noch in dieser Legislaturperiode das Denkmalschutzgesetz zu novellieren. Die Stadtentwicklungsverwaltung habe damit ihre „Hausaufgaben“ erfüllt.
190 Gebäuden in der Berliner Mitte droht der Abriß. Die „Hausaufgaben“ des CDU-Politikers wurden bislang freilich erst im Unterrichtsfach „Hauptstadtplanung“ abgegeben. Hassemer begrüßte noch einmal den Beschluß des Bundestags, die Ministerien zu 90 Prozent in Altbauten unterzubringen, und lobte sich, durch denkmalpflegerische Untersuchungen zu den 18 im Altbau geplanten Ministerienstandorten „eine verläßliche Grundlage für den Umgang mit den betroffenen denkmalwerten Anlagen“ geschaffen zu haben. Darüber hinaus kündigte der Senator an, er werde im Rahmen eines Realisierungswettbewerbs für die Spreeinsel auch einen „Versuch“ unternehmen, das unter Denkmalschutz stehende Staatsratsgebäude zu erhalten.
Den denkmalgerechten Umgang mit der Altbausubstanz durch private Investoren sparte Hassemer dagegen weitgehend aus. Wer den Denkmalschutz allzu eng definiere, sagte er, verhindere damit die weitere Nutzung historischer Gebäude. Als Beispiel nannte er den „Zollernhof“, in dem das ZDF seine Hauptstadtdependance unterbringen möchte. Dort solle zwar neben der Fassade Unter den Linden auch jene an der Mittelstraße erhalten werden, ohne daß freilich, so Hassemer wörtlich, „jeder alte Stein erhalten werden muß“.
Für die vom Bündnis 90 nominierte Baustadträtin Dorothee Dubrau ist das schlicht eine „Frechheit“. „Wer 70 Prozent eines Gebäudes abreißen läßt“, schimpft sie, „braucht von Denkmalschutz nicht mehr reden.“ Dubrau wehrt sich vor allem gegen die Schuldzuweisung Hassemers, derzufolge der Ruf nach dem Denkmalschutz durch das Bezirksamt nicht über „schwerwiegende Versäumnisse“ der bezirklichen Stadtplanung hinwegtäuschen könne. Um die abrißgefährdeten Altbauten planungsrechtlich zu sichern, sagte Dubrau zur taz, müßte der ganze Bezirk flächendeckend mit Bebauungsplänen überzogen werden. „Mit nur einem Mitarbeiter“, so Abrißgegnerin Dubrau, „nicht zu schaffen“. Für erfolgversprechender hält die Baustadträtin dagegen eine Erhaltungssatzung für die betroffenen Stadtgebiete. Hier freilich wurde die „Hausaufgabe“ noch nicht erledigt. Ein entsprechender Beschluß der BVV- Mitte wartet jedoch noch immer auf die förmliche Bestätigung durch Senator Hassemer. Statt dessen brüstet sich Hassemer in der Öffentlichkeit damit, „die bestehenden Möglichkeiten zur Harmonisierung des Planungsrechts mit Erhaltungszielen ausschöpfen“ zu wollen. Dorothee Dubrau: „Statt andere anzumachen, sollte man sich lieber gemeinsam zusammensetzen, um die Mitte der Stadt zu retten.“ Uwe Rada
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