Marktgläubige Treuhand zerstörte den Markt

■ Blick galt fast immer dem Einzelbetrieb, nicht den Kosten der Arbeitslosigkeit

Berlin (taz) – Ohne Zweifel: Kohl und Konsorten sind die Hauptverantwortlichen für den Kahlschlag in der ostdeutschen Industrie. Die schnelle Währungsunion, der Umtauschkurs von eins zu eins und die fehlende Entschuldung der Ostunternehmen waren die politischen Kardinalfehler. Die Wut der Entlassenen aber richtete sich fast ausschließlich gegen die Treuhandanstalt. Als Plattmacherin wurde sie beschimpft. Was ist von der Arbeit der Breuel-Behörde zu halten?

Nach dem noch von der Modrow-Regierung ausgearbeiteten Treuhandgesetz hatte die Anstalt zwar den Auftrag, das ehemalige Volksvermögen zu verkaufen; eine vorherige Sanierung der Betriebe war aber nicht ausgeschlossen. Die Treuhandanstalt setzte jedoch voll auf den raschen Verkauf – koste es volkswirtschaftlich, was es wolle. Nicht nach Branchen- und Lieferbeziehungen wurden die Betriebe den einzelnen Abteilungen zugeordnet, sondern vor allem nach ihrer Größe. Weil die Treuhänder immer nur die einzelnen Betriebe in den Blick nahmen, zerstörten sie gewachsene Strukturen und Handelsnetze. Sie machten so häufig den Markt kaputt, den sie selbst als Allheilmittel beschworen. Die liberal-konservative Abneigung gegen alles, was nach Planwirtschaft riechen könnte, verhinderte jede Perspektive, die auch die volkswirtschaftlichen Kosten der immensen Arbeitslosigkeit einkalkulierte.

Die Entscheidung, welcher Investor den Zuschlag bekommen sollte, blieb weitgehend der Intuition überlassen. „Zu unterschiedliche Voraussetzungen“ lautete die Begründung der Behörde, warum nie ein Kriterienkatalog aufgestellt wurde, wie Arbeitsplätze, Investitionen und Kaufpreis bei verschiedenen Angeboten miteinander verrechnet werden sollten. Wer seine Betriebe schnell loswurde, dem winkte eine Sonderzahlung; zugleich wurde er von der Haftung für Fehlentscheidungen freigestellt. Wichtiger noch als die offene Kriminalität ist deshalb vermutlich die juristisch nicht handhabbare Grauzone, in der ungünstige Verträge geschlossen und nicht selten alte Geschäftsfreunde der Privatisierer bevorzugt wurden. Vieles wird nie ans Licht der Öffentlichkeit kommen: Selbst der Treuhanduntersuchungsausschuß des Bundestages durfte die entscheidenden Papiere nicht einsehen.

Forschungs- und Entwicklungsabteilungen wickelte die Treuhand reihenweise ab: Sie seien zu teuer und unproduktiv. Wie und was ein Laden künftig herstellen sollte, sollen allein die künftigen Investoren entscheiden, lautete die Philosophie. Die fähigsten Ingenieure wanderten in den Westen ab. So leistete die Behörde dem Ansinnen vieler Interessenten Vorschub, im Osten nur eine verlängerte Werkbank aufzubauen.

Die noch nicht verkauften Betriebe hatten es zunehmend schwerer. Da die Treuhand zumindest in den ersten beiden Jahren dort so gut wie nichts investierte, wurden sie immer maroder: Ohne neue Maschinen oder Produkte bluteten sie vollends aus. Investoren ließen sich nur dann noch zur Übernahme verlocken, wenn sie fette Zuschüsse kassieren konnten. Die Arbeitsplatzzusagen wurden dabei immer marginaler. Wer signalsiert, daß er unbedingt verkaufeen will, kann nicht viel verlangen – so ist das nun einmal in der Marktwirtschaft.

Auch später, als Kanzler Kohl aus Angst vor massivem Protest eine Standortgarantie für nie näher definierte „industrieelle Kerne" gab, bestand die Sanierungspolitik der Treuhand nach wie vor hauptsächlich im Versenden von Kündigungen. Nur sehr zögernd unterstützte sie die Geschäftsführungen darin, zunächst auch ohne Käufer eine Perspektive zu entwickeln. Die inzwischen völlig ausgemergelten Großfirmen hängen, mit Ausnahme der Deutschen Waggonbau, jedoch weiter am Finanztropf der Behörde.

Dabei sind Dauersubventionen für Treuhandchefin Birgit Breuel die schlimmste Sünde, weil sie den notwendigen Strukturwandel verhindern. Mit ihrer Erfolgsbilanz, nur noch gut 100 der einst über 8.000 DDR-Betriebe im Portefeuille übrig zu haben, suggeriert sie jedoch zu Unrecht, daß der Staat hier nichts mehr zuschießen muß.

„Viele Betriebe sind noch gar nicht insolvenzfähig“, sagt der Bremer Wirtschaftsprofessor Rudolf Hickel. Bei einigen Werften übernimmt die Treuhand zum Beispiel bis Ende 1996 sämtliche Verluste. Erst dann schlägt die Stunde der Wahrheit, ob sie sich halten können oder dichtmachen müssen.

Auch bei den angeblich von der Treuhand geretteten 1,5 Millionen Arbeitsplätzen – ursprünglich verdienten 4,1 Millionen Leute ihr Geld in den von ihr übernommenen Betrieben – und den Investitionszusagen von 204 Milliarden Mark handelt es sich noch um Luftbuchungen, wie der Rechnungshof moniert. Der Zeitpunkt für die Vertragserfüllung ist vielfach noch gar nicht gekommen. „Ich könnte mir vorstellen, daß es noch eine kleine Lawine von Nachverhandlungen geben wird“, meint Karl Brinke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Es sei wohl kaum anzunehmen, daß die Treuhand auf die Einhaltung der Verträge dränge, wenn das dann zur Pleite der ganzen Firma führen würde.

Ein beunruhigendes Zeichen ist auch, daß die Zahl der Insolvenzen in Ostdeutschland stetig zunimmt. Hickel geht davon aus, daß 70 Prozent der Kleinunternehmen aus dem ehemaligen Treuhandbestand wegen Eigenkapital- oder Liquiditätsmangel existenzgefährdet sind.

Die Liberal-Konservativen dagegen stellen der Treuhand ein gutes Zeugnis aus: Unter den schweren Bedingungen habe sie mit ihrem Privatisierungskurs das Optimale herausgeholt. Die Anhänger einer links-etatistischen Therapie geben ihr hingegen eine Sechs: Die Weigerung, strukturbestimmende Unternehmen zu sanieren, habe zum Verlust von 70 Prozent der Arbeitsplätze geführt. Annette Jensen