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Justizmord im Fußball

Estlands Verband verstößt den FC Tevalte, Verein der russischen Minderheit  ■ Aus Tallinn Reinhard Wolff

Die Entscheidung über den diesjährigen Fußballmeister Estlands wurde nicht auf dem Spielfeld getroffen. Vor der entscheidenden letzten Meisterschaftsrunde schloß die Leitung des nationalen Fußballverbands den aussichtsreichsten Kandidaten auf den Titel aus der Liga aus. Aber der FC Tevalte verlor nicht nur die sicher geglaubte Meisterschaft, sondern auch seine Spieler. Diese „stehen zur Disposition des Verbandes“, lautet der Beschluß. Verkauft Tevalte einen seiner Spieler, fließt das Geld also in die Verbandskasse.

Der FC Tevalte ist ein Klub der russischsprachigen Minderheit im Lande. Der Ausschluß des Klubs kam völlig unerwartet, ohne daß irgendeine öffentliche Diskussion vorausgegangen wäre. Zuerst glaubte der Fußballverband seine Entscheidung überhaupt nicht begründen zu müssen, dann kam etwas, das mehr Andeutung als Begründung war: Das Management des Fußballklubs Tevalte habe enge Verbindungen zur russischen Mafia. Die „russische Mafia“ taucht in Estland derzeit immer als Begründung auf, wenn es Versorgungsschwierigkeiten und organisierte Diebstähle gibt, oder falls jemand offensichtlich auffallend wohlhabend oder geschäftlich erfolgreich zu sein scheint.

Der FC Tevalte war nicht nur fußballerisch, sondern auch ökonomisch auffallend erfolgreich. Der Klub zahlt bessere Löhne als seine – estnischen – Konkurrenten Norma und Flora, nämlich umgerechnet etwa 1.000 Mark im Monat. In dieser Saison spielten drei ehemalige Spitzenspieler aus St. Petersburg in der Elf, in der letzten Saison zeitweise sogar zwei Brasilianer. In der Nationalelf des Landes durften die Spieler des FC Tevalte nicht mehr spielen, seit es das Ausländergesetz gibt, das sie wie Hunderttausende anderer Russinnen und Russen zu Ausländern im eigenen Land gemacht hat.

Will zu einem Zeitpunkt, zu dem sich das Verhältnis zwischen Estland und Rußland bedrohlich zuzuspitzen scheint und Rußland den Abzug seiner letzten Truppen aus Estland gestoppt hat, der Fußballverband sich in die große Politik einmischen? Selbst ansonsten auf Rußland gar nicht gut zu sprechende estnische Sportjournalisten weisen solche Gedankengänge nicht zurück: „Unser Fußballverband treibt die Estnifizierung viel zu weit.“

Das Management von Tevalte scheint durch den Ausschluß völlig überrascht worden zu sein. Auch nicht inoffiziell waren jemals Mafia-Vorwürfe gegen den Klub erhoben worden. Manager Alexander Lipowskoi geht so weit, führende Politiker bis hin zum derzeit von einer Regierungskrise in die andere schlitternden Premierminister Mart Laar als Drahtzieher hinter der ganzen Geschichte zu vermuten. Mafiavorwürfe würden in Estland immer erhoben, wenn die Politiker ihre eigene Unfähigkeit nicht mehr erklären könnten. Premier Laar gilt als Galionsfigur des estnischen Fußballs und ist Vorsitzender des Klubs Flora Tallinn, der infolge des Ausschlusses von Tevalte Meister wurde und das Land im Europacup vertreten wird. Auch wenn es gewagt erscheint, den Premier persönlich als Drahtzieher zu vermuten – ein russischer Klub als Repräsentant Estlands auf internationaler Ebene hätte im teilweise völlig irrational aufgeheizten politischen Klima eines der unzähligen „Versäumnisse“ werden können, die man der Regierung anhängt.

Tevalte will die Entscheidung nicht hinnehmen. Enttäuscht zeigt sich Manager Lipowskoi von der Reaktion der übrigen Ligaklubs: einer Nichtreaktion. Man hat Klage vor einem nationalen Gericht erhoben, verspricht sich aber aufgrund der bekannt langsamen Arbeitsweise der Gerichte nicht viel davon. Am 3. August beginnt die diesjährige Pokalrunde, bei der der Teilnehmer am Europacup der Pokalsieger ausgespielt wird. Auch aus diesem Wettbewerb wurde Tevalte gestrichen. Tevalte hat sich bei der UEFA über den Ausschluß beklagt, und Manager Lipowskoi will heute in Bern die UEFA-Führung treffen, um über das Thema zu sprechen. Er hofft, daß das, was er als „reinen Justizmord des Fußballverbands“ bezeichnet, ein internationales Echo findet, das eine Rehabilitation des FC Tevalte und einen Stopp der Estnifizierungsversuche im estnischen Sport bewirkt.

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