: Der langsame Abschied
Wiederaufarbeitungsanlagen für Kernbrennstoffe sind seit langem sinnlos geworden / Die PreussenElektra sucht einen Ausweg ■ Von Gerd Rosenkranz
Berlin (taz) – Der Strohhalm, an den sich die französische „Compagnie Générale des Matières Nucléaires (Cogema) und die deutschen Atomstromer der PreussenElektra klammern, wird nicht lange tragen. Beide glauben, heißt es in den gestern veröffentlichten Überlegungen über eine Modifikation der Atomverträge von 1990, „daß sich auf lange Sicht die Wiederaufarbeitung in Verbindung mit der Nutzung von Mischoxid-Brennstoff als die beste technische und ökonomische Lösung für das hintere Ende des Brennstoffkreislaufes erweisen wird. Tatsächlich weiß alle Welt das Gegenteil.
Seit sich die flächendeckende Installation schneller Brutreaktoren als grandiose Illusion erwiesen hat, macht die milliardenschwere Produktion immer größerer Plutonium-Tonnagen in Wiederaufarbeitungsanlagen (WAA) nicht mehr den geringsten Sinn. Der Skandal, daß in La Hague und Sellafield in den letzten Jahren trotzdem gewaltige WAA-Überkapazitäten aufgebaut wurden, wird mit dem Notangebot der „Mischoxid- Nutzung“ nur mühsam kaschiert. Die aus Plutonium und frischem Uran zusammengemixten Brennstoffe für konventionelle Atomkraftwerke sollen den bedrohlich wachsenden Berg des Ultragiftes – das noch dazu in Atombomben mißbraucht werden kann – eindämmen und der Wiederaufarbeitung den Schein einer Legitimation verleihen. Tatsächlich sind MOX-Brennelemente teurer als konventionelle Uranbrennstoffe und, weil sie radioaktiv strahlen, unangenehm in der Handhabung. Letztes Jahr stellte, nach ungezählten Studien, die diesen Sachverhalt bestätigten, sogar der Bundesrechnungshof fest, der Plutoniumkreislauf sei wegen horrender Kosten nicht länger zu verantworten.
Andere haben das früher erkannt. Die USA stiegen Ende der siebziger Jahre unter Jimmy Carter aus Brüter und Wiederaufarbeitung aus. Länder wie Kanada, Schweden und Spanien schlossen sich an, so daß heute etwa die Hälfte des weltweit anfallenden Atommülls direkt endgelagert wird.
Seinerzeit schwenkten auch die deutschen Sozialdemokraten um und verlangten den „Ausstieg aus der Plutoniumwirtschaft“. Schon in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre wackelten die deutschen AKW-Betreiber und machten sich – nicht öffentlich – für die Option der „direkten Endlagerung“ stark. Gegen den Widerstand des Siemens-Konzerns, der an der Baustelle der WAA Wackersdorf und der MOX-Fertigung in Hanau verdienen wollte. Der Bundesregierung galt die Wiederaufarbeitung jedoch weiter als unumstößliches Dogma. Ebenso der bayerischen Staatsregierung, die Wackersdorf in kriegsähnlichen Einsätzen gegen die Bevölkerungsmehrheit zu verteidigen suchte.
Was weitgehend ignoriert wurde: Das auch heute noch gültige Atomgesetz gab der Wiederaufarbeitung („schadlose Verwertung“) zwar Vorrang, ließ jedoch grundsätzlich auch die direkte Endlagerung („geordnete Beseitigung“) zu „soweit dies [die Wiederaufarbeitung, Red.] wirtschaftlich nicht vertretbar ist“. Auch die 1980 noch von Bund und Ländern (SPD und CDU) gemeinsam verabschiedeten „Entsorgungsgrundsätze“ für Atomkraftwerke erkannten im Prinzip beide Optionen an. Man hätte also anders können, wenn man hätte wollen. Erst 1989, nachdem sich die Stromwirtschaft spektakulär aus Wackersdorf verabschiedet hatte, wollte auch Bundesreaktorminister Töpfer (CDU) den Weg der direkten Endlagerung ohne Novellierung des Atomgesetzes öffnen. Nun steht die Option gleichrangig mit der Wiederaufarbeitung im kürzlich im Bundestag durchgeboxten „Artikelgesetz“.
Was die AKW-Betreiber von der Wiederaufarbeitungs-Ideologie hielten, dokumentierten sie erstmals öffentlich mit ihrem unangekündigten Exodus von der WAA-Baustelle in der Oberpfalz. Die Politiker in Bonn und München, die 15 Jahre lang die „Unverzichtbarkeit“ des nationalen Brennstoffkreislaufs gepredigt hatten, waren die Gelackmeierten. Die Flucht ins Ausland konnte indes noch als ökonomisch vernünftig verkauft werden, weil Franzosen und Engländer die Plutonium-Extraktion angesichts gewaltiger WAA-Überkapazitäten erheblich billiger anboten als in Deutschland. Tatsächlich planten die Betreiber schon den Ausstieg aus der WAA. Zweierlei hielt sie davon ab, gleich tabula rasa zu machen: Erstens die Angst, daß der „Entsorgungsnachweis“ ihrer AKWs von den Gerichten kassiert werden könnte – mit der Folge von Zwangsabschaltungen. Zweitens die Tatsache, daß der WAA-Umweg im Ausland den Entsorgungsnotstand im Inland zeitweise entschärfen konnte.
Nun scheint PreussenElektra – andere Betreiber werden folgen – die Zeit reif für den nächsten Schritt. „Plutoniumbegrenzung“ heißt die Parole. Zumal Siemens vor einigen Wochen seine Altanlage zur MOX-Verarbeitung in Hanau endgültig aufgab und die Vollendung der neuen Fertigungsstraße offenbar vom Ausgang der Wahlen im Bund und im Land Hessen abhängig macht. Der in dem PreussenElektra/Cogema- Papier vom 25. Mai verfolgte Grundsatz: Nur noch soviel Plutonium-Produktion, wie in MOX- Brennelementen genutzt wird, kann die Plutoniumschwemme allerdings nicht stoppen. Denn vielmehr als die sogenannten Neuverträge von 1990 – nur darum geht es in dem Papier –, bestimmen alte Verträge der Deutschen mit La Hague und Sellafield, wieviel des Ultragifts in den kommenden Jahren anfällt: Heute beträgt der Überschuß an Plutonium nach einer Hochrechnung des Öko-Instituts rund acht Tonnen, nach Abarbeitung der Altverträge wird das deutsche Plutonium-Lager auf rund 40 Tonnen angeschwollen sein. In dieser Zahl sind die WAA- Chargen aus den sogenannten Neuverträgen noch gar nicht enthalten. Das heißt: Ohne Verzicht auf die Umsetzung der Altverträge ist das Plutonium-Problem nicht zu entschärfen. Aus ihnen auszusteigen wäre für die deutschen Betreiber nicht gerade angenehm. Denn zahlen müssen sie auch, wenn ab sofort kein Gramm Plutonium mehr das Werk auf dem Cap de la Hague verläßt. Gerd Rosenkranz
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