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Nachrichten aus der urbanen Subkultur

■ Lowest-Budget-Niveau als Qualitätsmerkmal: Zur Premiere von Lothar Lamberts filmischem One-Woman-Kammerspiel „Gut drauf, schlecht dran“

Diese Situation kennt jeder. Viel zu früh, um zu schlafen, noch irgend was machen, ja nicht alleine sein. Hauptsache raus, eigentlich egal, mit wem.

Die Frau mit der Reibeisenstimme (Renate Soleymany) wandert, den Telefonhörer zwischen Ohr und Schulterblatt geklemmt, alle Räume ihrer Möbelprospekt- Wohnung ab. Und plappert im Akkord mit all ihren Freundinnen und Freunden, ob die nicht heute abend Zeit und Lust hätten, sich mit ihr zu treffen. Wie eine Maschine im Leerlauf produziert die Frau Vorschläge: „Komm doch zu mir, wir trinken was und gucken Fernsehen. Ach so, du bist schon verabredet.“ – „In Clärchens Ballhaus geht Ihr? Verstehe, Ihr wollt alleine sein. Dann wünsch' ich euch viel Spaß, und wir telefonieren bald, ja?“ – „Hallo Sabine, wie geht's? Ich kenn' da ein gutes Restaurant. Gestritten habt Ihr euch? Nächste Woche können wir uns erst wieder sehen? Na dann. Vertragt euch wieder.“ – „Wie, du bist so kaputt noch von gestern? Na, gute Nacht.“

„Die letzte Verabredung“ hat Lothar Lambert, 50, das One-Woman-Kammerspiel in seinem jüngsten Episodenfilm „Gut drauf, schlecht dran“ getauft, der im Panorama der diesjährigen Berlinale uraufgeführt wurde. Und erst zum Schluß erfahren wir, wer mit letzte Verabredung gemeint ist.

Nach dem hundertsten Versuch der Kontaktaufnahme resigniert die Frau und legt den Abend zu den Nix-passiert-Akten. Sie fügt sich und bleibt allein, und man sieht sie, umrahmt von Schaumbergen, in der Badewanne. Das Telefon klingelt. Eine Freundin hat es sich doch anders überlegt und würde nun doch mit ausgehen. Aber nun will die Frau alleine bleiben. Mit sich und dem Fön. Der liegt bedrohlich auf dem Badewannenrand und signalisiert, daß die letzte Verabredung Tod heißen wird.

Acht Szenen hat das Multitalent Lothar Lambert in „Gut drauf, schlecht dran“ zu einem Berliner Sittengemälde vereint. Wie überhaupt alle seine Filme ist auch dieser auf Lowest-Budget-Niveau finanziert und gedreht. Was kein Stigma ist, sondern ein Qualitätsmerkmal. Lambert: „Ich staune selbst, wie ich es immer fertiggekriegt habe, meine Filme zu realisieren.“

Der Film- und Fernsehjournalist, Filmproduzent und Regisseur, Kameramann und Schauspieler, Maler und Schnittmeister Lambert, seit über zwei Jahrzehnten ein beschriebenes Blatt, hat scheinbaren und lustvollen Dilettantismus zum Prinzip erkoren. (Was auch in Übersee registriert wurde: New Yorks Museum of Modern Art hat Lamberts „1 Berlin-Harlem“ gekauft.)

Seine 21 Filme, in denen er bisweilen mitspielt, erfüllen längst nicht alle ästhetisch-technischen Ansprüche, wie sie Filmhochschulschüler eingetrichtert bekommen. Lamberts Street-Movies flimmern verwackelt, grobkörnig, mitunter grell ausgeleuchtet und mit asynchronem Ton über die Leinwände der Szenekinos. Sie berichten – immer verzweifelt-liebevoll – von Aussätzigen und Ausgestoßenen, Gestrandeten und Glücksbesoffenen, Nymphomaninnen und Tierpark-Strichern, Spießern und Einsamen. Wie sie um ein bißchen Glück in ihrem Leben kämpfen. Manchmal gewinnen sie den Kampf, manchmal verlieren sie ihn.

Der filmische Autodidakt und studierte Publizist Lambert beobachtet die Menschen, er stellt sie nicht bloß und nicht zur Schau. All seine Streifen (darunter „Ex und hopp“, „Fucking City“, „Verbieten verboten“, „Was Sie nie über Sex wissen wollten“) haben etwas Dokumentarisches, das durch ihre spezifische Ästhetik den Eindruck von Wirklichkeit noch verstärkt.

Weil sein Werk und die Art und Weise, wie es präsentiert wird, in keine Schublade paßt und auch mit dem Zusatz „Experimente“ nur unzureichend klassifiziert wäre, hat man Lambert das Prädikat „Underground“-Filmer verpaßt. Dabei sind seine Arbeiten Nachrichten aus der urbanen Subkultur Berlins, sie provozieren durch ihren offenen Umgang mit Sexualität. Die Episode „Jagdgründe“ etwa in „Gut drauf, schlecht dran“ führt die Zuschauer erst mal ins Abseits. Ein Mann (Stefan Menche) verfolgt eine Frau (Doreen Heins), sie stolpern über Industrieschrott in einem gottverlassenen Bahnrevier. Bald geht der Frau die Puste aus, der Häscher hascht sich, was er will. Er kettet die Frau an einen rostigen Zaun und vergewaltigt sie. Die Frau läßt das – seltsam still oder geschockt – passieren. Schnitt.

Man sieht die Frau in einer Telefonzelle, der Mann fährt mit seinem Auto vorbei, ruft ihren Namen. Sie steigt zu ihm, beide fahren davon: Aha! Die inszenieren für sich eine Vergewaltigung, um ihre Sexlust zu steigern. Und Lothar Lambert inszeniert moralische Empörung in unseren Köpfen, um unsere sittlichen Kategorien als Vorurteile zu entlarven. Lambert über Lamberts Themenlust: „Mich interessiert der Sex nicht an sich, sondern welche Beziehungen über ihn hergestellt werden. Oder wie er diese zerstören kann.“

Auf die falsche Fährte locken ist außerdem sein liebstes Spiel; nach Episoden wie „Man kennt sich“ kann man sich gut ausmalen, wie er diebisch feixt. Ein mittelalter Mann (L. Lambert) recht in seinem Zehlendorfer Garten Laub zusammen, entlang seiner Büsche streicht ein junger Mann (Baduri). Beide gucken sich scheu an, und bestimmt spioniert der Junge nach Diebesgut! Aber alles kommt anders, denn die beiden sind sich schon mal über den Weg gelaufen. Irgendwo im Dunkeln, denn der ältere Mann weiß nur noch, daß der Junge einen nach links gebogenen Schwanz hat. Thorsten Schmitz

„Gut drauf, schlecht dran“ läuft ab heute im Checkpoint-Kino (21 Uhr) und um Eiszeit-Kino (21.30 Uhr). Im Anschluß an die Premiere im Checkpoint findet dort ein Gespräch mit Lothar Lambert statt. Das Checkpoint-Kino zeigt vom 28.7. bis 3.8. als Vorfilm zusätzlich Ed Herzogs Kurzfilm „Happy Weekend“, in dem Lothar Lambert mitspielt. In dem 15minütigen Streifen geht es um einen jungen Polizisten und dessen Faible für Gruppensex.

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