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Kraftprobe für Nigerias Militärjunta

Nigerias inhaftierter Wahlsieger von 1993, Moshood Abiola, soll sich ab heute wegen „Landesverrats“ vor Gericht verantworten / Das Land liegt nach wochenlangen Proteststreiks am Boden  ■ Von Uwe Kerkow

Bonn (taz) – Wegen Landesverrats soll ab heute in Nigeria Moshood Abiola vor Gericht erscheinen – jener Politiker, der heute Präsident des größten westafrikanischen Landes wäre, hätten die herrschenden Militärs nicht vor einem Jahr die Wahlen vom 12. Juni 1993 annulliert, die Abiola gewonnen hatte. Der Prozeßbeginn platzt in ein Klima starker sozialer Spannungen, die seit der Anklageerhebung gegen Abiola am 23. Juni beständig wachsen. Seit dem Wochenende kommt es in der Südmetropole Lagos täglich zu Demonstrationen, die von der Polizei gewaltsam aufgelöst werden.

Mit dem Konfrontationskurs gegen Abiola, dessen Verhaftung im Juni auf seine Eigenproklamation als Präsident Nigerias zum Jahrestag der annullierten Wahl gefolgt war, nimmt Staatspräsident General Sani Abacha das denkbar größte politische Risiko auf sich, denn der Wahlsieger von 1993 ist weiterhin in der Bevölkerung beliebt. Das Regime setzt auf Härte und versucht, seinen eigenen politischen Kurs beizubehalten, den es entgegen allem Augenschein als „Demokratisierung“ bezeichnet und der vornehmlich in der Abhaltung einer „Verfassunggebenden Versammlung“ besteht, welche aber als reines Instrument des Machterhalts gilt.

Die Versammlung besteht aus 365 Mitgliedern, von denen 93 direkt von der Regierung ernannt worden sind – 272 wurden durch ein Wahlmännergremium bestimmt. Die Wahlen zu diesem Gremium waren schlecht organisiert und wurden so erfolgreich boykottiert, daß nach Schätzungen die Wahlbeteiligung ganze 1 Prozent betrug. Die Liste der 93 ernannten Mitglieder ist bezeichnend für die Absichten des Militärregimes. Ein Mitglied ist Pascal Bafyau, Vorsitzender des Nigerianischen Gewerkschaftsbundes (NLC), der sich schon im letzten Jahr gegen die gewerkschaftliche Unterstützung von prodemokratischen Massenaktionen gestemmt hatte. Er gilt als schlechter Anwalt von Arbeiterinteressen und ihm fehlt die Unterstützung wichtiger Einzelgewerkschaften. Eine ebenso zwielichtige Figur ist Clement Akpamgbo: Er war zunächst Vorsitzender der nigerianischen Rechtsanwaltsvereinigung, später Justizminister und Generalstaatsanwalt unter dem 1993 weggeputschten General Babangida. In dieser Doppelfunktion zeichnete er für eine Vielzahl von Dekreten verantwortlich, die im offenen Widerspruch zur geltenden Verfassung standen. Auf der Ernennungsliste befinden sich auch zwei berüchtigte Generalinspektoren von Polizei und Staatsschutz: Sunday Awusi und Mohammed Gambo. Gambo hat die Einsätze beraten, die den Sturz Babangidas und die Machtergreifung Abachas im November 1993 begleiteten und 200 Todesopfer forderten.

„Dieselben Leute, die dieses Land ruiniert haben, sind zurück“, beschreibt ein oppositioneller Journalist die Situation. Vielleicht ist es unter solchen Umständen sogar zu begrüßen, daß die Beschlüsse der Verfassungskonferenz das Militärregime in keiner Weise rechtlich binden.

Ölstreik läßt die Wirtschaft kollabieren

Es hat sich jedoch gezeigt, daß die Militärs den Widerstand der demokratischen Opposition unterschätzten, die auf der Einsetzung Abiolas als gewähltem Präsidenten beharrt. Auf die Nominierung des NLC-Vorsitzenden Bafyaus zur Verfassunggebenden Versammlung folgte Protest: Die Gewerkschaft der Erdölarbeiter (Nupeng) preschte Anfang Juli mit einem Ultimatum an die Regierung vor und befindet sich seit dessen Verstreichen im Streik. Entgegen allen Erwartungen übernahm dann der NLC unter Bafyau die Forderungen der Ölarbeiter und stellte ebenfalls ein Ultimatum an die Militärs. Bafyau: „Meine Nominierung und Teilnahme an der Verfassunggebenden Versammlung ist jetzt nicht unsere Priorität. Vor allem anderen muß die politische und ökonomische Krise in Nigeria angegangen werden.“

Das Ultimatum enthält die Forderung nach bedingungsloser Freilassung aller politischen Gefangenen, die Einstellung aller gegen sie laufenden Gerichtsverfahren und die Wiedereröffnung aller geschlossenen Presseeinrichtungen. Der Streik der Ölarbeiter hat verheerende Auswirkungen auf die Ökonomie Nigerias gehabt: Benzin gibt es im Süden überhaupt nicht mehr, durch den Zusammenbruch des Transportwesens ist der Handel lahmgelegt, und die Preise für Grundnahrungsmittel sind seit Anfang Juli um 50 bis 100 Prozent oder mehr gestiegen. Viele Menschen müssen zu Fuß zur Arbeit gehen, sofern sie Arbeit haben.

Industrieproduktion auf ein Zehntel geschrumpft

Nach Schätzungen von Geschäftsleuten ist die industrielle Produktion auf ein Zehntel des Vorjahreswerts zusammengeschrumpft, während die Inflation sich auf 500 Prozent verachtfacht hat. Täglich entgehen dem Staat 34 Millionen Dollar durch ausbleibende Einnahmen aus dem Ölexport, der sonst 90 Prozent der nigerianischen Deviseneinnahmen bringt. Ausländische Investoren beginnen sich aus dem Land zurückzuziehen – so hat die Hoechst AG gerade ihren 40prozentigen Anteil an Hoechst Nigeria an eine einheimische Firma verkauft.

Ein Treffen am Mittwoch letzter Woche zwischen der Spitze des NLC und der Staatsführung brachte ein wenig Annäherung. Das Regime sagte zu, politische Gefangene freizulassen, und daher sehen die Gewerkschaften bis auf weiteres von einem Generalstreik ab. Viel Unterschied macht das aber nicht. Die Ölarbeiter streiken weiter, ebenso die Lokalverwaltungen, das Gesundheitswesen und die Bankangestellten.

Ein für gestern geplantes Gespräch mit der Regierung sagte die Nupeng kurzfristig ab und erklärte zugleich, sie habe „nicht vor, an den Verhandlungstisch zurückzukehren“. Offensichtlich wollen die Gewerkschaften sich nicht auf die Pläne der Militärs einlassen. Diese sehen freie politische Betätigung erst für Anfang 1995 vor; Neuwahlen sind überhaupt nicht geplant. Der Prozeß gegen Abiola wird zeigen, wie ernst die Zusage der Freilassung politischer Gefangener gemeint ist. Noch wäre eine Haftentlassung Abiolas in letzter Minute möglich.

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