: Die Verwegenheit des Endkampfs
■ Hauen und Stechen in Oldenburg: Ritter-Turnier mit Legende an der Weser-Ems-Halle
Der fünfjährige Daniel spielt am liebsten mit seinen Plastikrittern. Nun hatte er Gelegenheit, seine Helden endlich mal in Lebensgröße zu bewundern: „Turbulente Reiterspiele, spannende Lanzengänge und eine einfühlsame Legendengeschichte“ verspricht das Ritter-Turnier Kaiser, das in dieser Woche in Oldenburg gastiert. Nahe den wenig geheimnisvollen Ruinen der Weser-Ems-Halle haben sie ihre Festung errichtet, hinter zwei Autokampfreihen auf dem Parkplatz.
„Seid gegrüßt, Volk von nah und fern“, ruft eine Stimme aus dem Lautsprecher den ZuschauerInnen zu, die im Gras sitzend ihr Feldlager bezogen haben. Sieben Recken sprengen auf ihren Rössern über den Turnierplatz – das Heldenlied, die „einfühlsame Legendengeschichte“, kann beginnen. Holde Jungfrauen versüßten das rauhe Leben im Mittelalter, und um eine solche geht es auch hier. Das Ringen um die Liebe ist natürlich reine Männersache. Prinzessin Adelheids Aufgabe besteht darin, sich ergeben in ihr Schicksal zu fügen. Bis zur Pause ist die Prinzessin mittels hinterlistiger Ränke vom bösen Ritter Spinnenburg auf ihrer Brautfahrt entführt, der Verräter „nach alter Rittersitte“ durch eine Feuerwand gezogen worden – doch während die von der Mittagshitze gerösteten ZuschauerInnen mit diesem Spektakel in die Pause entlassen werden, endet die Pein für den Bösewicht nicht: er muß Pferdeäpfel aufsammeln und im zweiten Teil der Show den Hofnarren spielen.
Währenddessen können sich auch die ZuschauerInnen bewaffnen – mit dräuenden Holzschwertern, die eine Marketenderin am Eingang feilhält. Noch gieriger jedoch verlangen sie nach gekühlten Getränken und beißen glücklich in ihr Capri-Eis. Die Ritter bedienen anstelle der Streitäxte Polaroidkameras und lichten Zuschauer in martialischen Posen auf Streitrössern ab. Bis zum Ende der Geschichte wird Prinzessin Adelheid jetzt noch eine dreiviertel Stunde gefesselt in der Sonne schmoren müssen, bis der fromme Ritter Askan sie endlich unter Hauen und Stechen befreit – nicht ohne vom Bösen Ritter nochmal in die Enge gedrängt zu werden. Daniel, ob dieser Entwicklung noch immer Rotz und Wasser heulend, verpaßt das Happy End.
Ende der Vorstellung: Recke Ludwig legt seine mittelalterliche Tracht ab und schleppt sich in Unterhosen zum Wasserschlauch. Entgegen aller Reiterehre gilt der erste Guß ihm und nicht dem Tier. Ludwig bringt nur noch ein schwaches „kaputt“ über die Lippen.
Noch bis Sonntag schwingen der Kämpe aus Tschechien und fünf weitere Landsleute zweimal täglich die Schwerter. „Wir haben die Tschechen engagiert, weil sie in ihrer Heimat eine Spitzenausbildung erhalten haben“, erklärt deren Chefin Cornelia Kaiser – und zwar in speziellen Ritterkampfschulen. Die Gage sei aber ebenso hoch wie für deutsche Künstler: „Die Schnäppchenzeiten mit billigen Artisten aus dem Ostblock sind vorbei.“ Mit dem kommerziellen Erfolg ist die Unternehmerin zufrieden, auch wenn das Wetter zur Zeit eigentlich zu heiß sei. „Die Fitness der Kämpfer bei dieser Hitze“, hat denn auch einen Besucher aus Oldenburg am meisten beeindruckt. Und ein Feriengast aus Tübingen ist gekommen, weil „Ritter einfach in sind“. Die „Verwegenheit des Endkampfs“ hat ihn besonders überzeugt.
„Das Ganze ist eben gute Artistik, hat eine schöne Handlung und vor allem ein gutes Ende“, sagt Frau Kaiser. Von dem ist mittlerweile auch Daniel überzeugt. Zufrieden geht er trutzigen Schritts nach Hause – an der Hand der Mama, das erworbene Schwert unter den Arm geklemmt.
Alois Bierl
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