Im Wartesaal zum großen Glück

■ Das Café Grün im Fedelhören: Ein Platz für Lebenskünstler und solche, die's mal werden wollten

Was mich groß gemacht hat, war zum Teil der Müßiggang.

– Baudelaire

„Es gibt ja heute genug Leute“, sagt Haynk, „die hier einfach nur ihr Bier trinken wollen.“ Gefaßt greift er nach seiner Kaffeetasse, sie ist leer, Haynck stellt sie wieder zurück. Ja, heute. Da kommen sogar Gäste, „die den Laden einfach als Kneipe benutzen“. Und so geht's ja schließlich nicht. Denn das Café Grün, Hanyks altes und neues Stammcafé, war, ist und bleibt eben viel mehr als das. Im Grün trifft sich das Künstlervölkchen, treffen sich Literaten und Leser, Versprengte und Verliebte, und vor allem unentwegte Parlierer und Projektemacher. Wenn es eine Bremer Version des französischen Künstlercafés gibt, dann diese hier, wo sich seit 14 Jahren die Bohéme des Städtchens trifft.

Milde lächelt Kellner Hermann, während Haynk von damals erzählt. „Damals“, 1982 nämlich, war Hanyck gerade mal 14. Und das Grün zwei Jahre alt. Hermann Stuzmann: Kellner, Künstler, inzwischen Mitbesitzer des Cafés, hat den Laden im Fedelhören mit aufgebaut. Für die Besucher der Galerie „Gruppe Grün“ gegenüber – „jedes Museum hat ja sein Café“. Aber auch für „Kunstinteressierte, Abenteurer, Studenten, Schüler, Leute mit wenig Geld“ – Leute wie Haynk. Im Angebot: zwei Sorten Wein und etwas Gebäck; oben eine Galerie für hoffnungsfrohe Talente. Haynk und Schulfreund Ralph kamen zu Kakao und Kuchen, Pfennigpoker ab und zu. Vor allem aber: sich in der Kunstwelt sonnen, und endlos diskutieren.

Was ist denn, nur zum Beispiel, Kunst? Fragt Haynk den Hermann. Der holt aus. „Kunst ist alles, Kunst kann durch die Rippen kacken, nein: die Frage, was Kunst ist, ist die einzige, die ich Dir nicht beantworten könnte...“ Und so weiter; Hermann kennt die Frage aus hundert Tischgesprächen.

Über die Kunst, zumal in Bremen, räsoniert der BBK, wenn er im Grün zu Rate sitzt und neue Künstlerförderpläne schmiedet. Das Dasein der freien Theaterleute debattiert derweil die Gruppe Lubricat. Mal werden die Gäste auch vom Milchkaffee weg engagiert. Regisseur Peter Renz brauchte noch Leute, um die Laienspielschar eines neues Projekts zu verstärken. Für eines seiner Stücke diente gleich das ganze Café als Kulisse: das Ein-Personen-Drama „Die geliebte Stimme“ erlebte inmitten der Cafétische seine Premiere. Um die Kunst in all ihren Facetten geht es schließlich, wenn die Redaktion des „Stint“ im Hause tagt. Denn in Bremens hauseigenem und selbstverlegtem Literaturmagazin kommt alles zusammen. Cafémitbesitzer Max Schmalz dichtet, Gruppe-Grün-Künstler gestalten den Bildteil, und Hermann Stuzmann besorgt, irgendwann zwischen zwei Kellnertagen im Grün, den wildbunten Umschlag.

Kunst ist nicht zwar alles, wie Hermann sagt. Aber alles ist Kunst im Café Grün. Nicht nur, weil gelegentlich oben Bilder hängen oder auch mal ausgreifende Holzplastiken bedrohlich über den Köpfen der Gäste baumeln. Auch die Speisen gehören praktisch zum Kunstgenuß. Besonders Evis Käsekuchen, „da ist jedes Stück ein Unikat“, im kleinen Ofen daheim gebacken, sie wohnt ja gleich um die Ecke. Und die schicken Deckenlampen? Designerware? Nein: Hermanns Eigenschöpfung – abgesägte Eisbecher und alte Nudelsiebe vom Flohmarkt – „Unikate“, bemerkt Hermann, jedes einzelne Lämpchen. Die Tische? Auch Originale. Stahlplastiken, quasi, selbstgefaltet, behauen und geschweißt, genauso wie die stählerne Theke. Langsam werden die Tische ausgemustert; die neuen Bistromöbel aus Marmorimitat gab's günstig abzuholen.

Hanck setzt sich im neuen Mobiliar zurecht und guckt noch einmal in die Kaffeetasse: „Es geht langsam voran.“ Mit der neuen Kundschaft wächst auch der Appetit; mit Sorge sieht Haynk die Speisekarte wachsen. „Die Leute wollen eben mehr als einen kleinen Snack“, sagt Hermann. „Chilled Cucumber Soup“ steht an der Tafel, dazu „Sweet Peppers in Honey“. Es kocht der Schotte Alan – kein Koch eigentlich, aber Künstler aus Glasgow und hier zu Besuch. Nächstes Jahr, das ist jedenfalls schon mal geplant, will er eine eigene Ausstellung im Grün machen.

Denn wenn es ein konkretes Ziel gibt für die Stammgäste, die Begabten wie die Dilettanten, dann dieses: die „eigene Ausstellung“ im Café. „Nächstes Frühjahr“, schätzt Haynk, ist es bei ihm soweit. Einen Film hat er schon fertig. Jetzt folgen Fotos, möglicherweise. Und dann kann man wieder parlieren, über Kunst, Gott und den Käsekuchen. Bis dahin: Kaffeetrinken und abwarten. Thomas Wolff