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Behörden-EDV als Torso

■ Eine unendliche und millionenschwere Pannengeschichte: „Prosoz“, „Demos“, „Isa-D“, „Paadis“ – bremische Software mit Funktionshemmungen

Wenn Frau S. in der Meldestelle des Stadtamtes in der Bahnhofstraße ein polizeiliches Führungszeugnis beantragt, dann bittet Sie ihren Kunden zunächst um den Personalausweis. Den Namen gibt sie in ein Computer-Terminal ein, Sekunden später erscheinen die im bremischen Meldeprogramm „Demos“ gespeicherten Daten vor ihr auf dem Bildschirm. Doch dann macht Frau Schmidt eine halbe Drehung und spannt ein Formular in ihre mechanische Schreibmaschine. Nach ein paar Minuten hat sie alle Felder des Vordrucks ausgefüllt, der dann per Behördenpost ans Bundeszentralregister weitergeleitet wird.

An vier großen EDV-Programmen für den Einsatz im Öffentlichen Dienst hat sich das Bremer Rechenzentrum in den vergangenen zehn Jahren versucht, dreistellige Millionenbeträge wurden dafür ausgegeben. Doch bis heute funktionieren die bremischen Eigenentwicklungen im besten Fall so wie im „Demos“-Beispiel – als Torso.

Die längste und pannenreichste Planungs-Geschichte hat das Programm „Prosoz“ hinter sich. Seit 1984 arbeitet die gleichnamige Projektgruppe des Rechenzentrums in Zusammenarbeit mit dem Sozialressort an der Verwirklichung einer EDV-gestützten Berechnung und Verwaltung der bremischen Sozialhilfe. Vor drei Jahren wurde mit der Einführung im „Echtbetrieb“ begonnen. Doch bis heute sitzen erst drei Viertel der 350 Sozialamts-SachbearbeiterInnen überhaupt an einem entsprechend ausgestatteten Arbeitsplatz. Und das Prosoz-Programm selber kann gerade einmal 60 Prozent der üblichen Fälle elektronisch verarbeiten.

Das, was von Prosoz tatsächlich funktioniert, ist ein einfaches Programm, mit dem die Sachbearbeiterin über ein Bildschirm-Menü rund 50 vorgegebene Felder zur Berechnung der Standard-Sozialhilfe ausfüllen kann. Für rund 30 dieser Felder macht das Programm eigene Summen-Vorschläge, so zum Beispiel für die Höhe anrechenbarer Fahrtkosten (Bremer Karte, 55 Mark im Monat) oder den Sozialhilfe-Regelsatz. Anschließend berechnet das Programm aus den vorgegebenen Feldern den Sozialhilfeanspruch, druckt einen Bescheid aus und übergibt die Zahlen ans Rechenzentrum, in dem eine Statistik und die entsprechenden Überweisungen an die SozialhilfeempfängerInnen erstellt werden.

Doch bereits bei kleineren Besonderheiten, die im Sozialhilfe-Bereich die Regel sind, versagt das Programm. So können grundsätzlich keine tageweisen Eingaben gemacht werden. Das Programm berechnet alle Werte stets stur bis zum Monatsende – und kommt damit zu falschen Ergebnissen, die dann umständlich per Hand, Formular und Aktenwesen wieder berichtigt werden müssen. Noch schlimmer wird es, wenn sich die gesetzlichen Rahmenbedingungen ändern. So wurden die drei großen rechtlichen Neuerungen des vergangenen Jahres – Asylbewerberleistungsgesetz, pauschaliertes Wohngeld und eine neue Bundesstatistik – bisher nicht in das Prosoz-Programm eingearbeitet.

Dabei ist Prosoz noch das erfolgreichste der vom Bremer Rechenzentrum entwickelten Programme. Es funktioniert inzwischen zumindest soweit, daß es auch von einigen anderen Städten übernommen wird. Als erster auswärtiger Kunde hat Frankfurt im Herbst vergangenen Jahres Prosoz eingeführt, die Nachbarstädte Neu-Isenburg und Hanau folgten. Interesse haben zudem Kiel, Hannover, Kassel, Heidelberg und Ulm gezeigt. Große Einnahmen fließen dadurch allerdings nicht nach Bremen, da Prosoz mit Bundesmitteln entwickelt wurde und deshalb die Lizenz umsonst weitergegeben werden muß. Lediglich für die Anpassungsarbeiten an die jeweiligen örtlichen Bedingungen kassiert das inzwischen als Eigenbetrieb verselbständigte Rechenzentrum rund 200.000 Mark.

Hans Kugel, Leiter des Prosoz-Teams im Rechenzentrum, ist dennoch stolz auf das auswärtige Interesse. Die fast zehnjährige Entwicklungszeit des Programms erklärt er damit, daß die Einführung „von der bremischen Mitbestimmung behindert“ worden sei. So werde in Frankfurt bereits eine neuere Prosoz-Version eingesetzt, in der viele der bremischen Mängel behoben seien.

Für die anderen drei in Bremen entwickelten großen Behörden-Programme „Demos“ (Meldewesen), „Isa-D“ (Polizei) und „Paadis“ (Lohn- und Gehalt) hat es noch nie ein ernsthaftes auswärtiges Interesse gegeben. Paadis soll in den nächsten Jahren Schritt für Schritt sogar in Bremen wieder abgeschafft und durch das Hannoveraner System „Kidicap“ ersetzt werden.

An der Software-Entwicklung für den Behördengebrauch sind in der Vergangenheit allerdings nicht nur die Behörden selber gescheitert. Auch Programmentwicklungen, die komplett an einen privaten Anbieter vergeben wurden, haben oft nicht zu brauchbaren Ergebnissen geführt. So sitzt etwa die von Siemens und dem Land Bremen gemeinsam gegründete Firma HEC seit über zwei Jahren an der Entwicklung einer EDV für die Bürgerschaft. Doch bis heute ist noch nicht einmal die erste Stufe, ein simples, in jedem Computer-Laden für ein paar hundert Mark zu erwerbendes Stich- und Schlagwortregister für die Protokolle der Plenar-Sitzungen im Einsatz.

Und auch Wirtschaftssenator Claus Jäger hat wenig Glück mit einer von der HEC entwickelten Software für die Abwicklung des Wirtschafts-Aktions-Programms (WAP). Obwohl die konkreten Anforderungen dafür bereits im Frühjahr 1991 vorlagen, hat die HEC bis heute nur eine, „mit nicht unerheblichen Mängeln behaftete“ Testversion präsentiert, „eine Einführung im ,Echtbetrieb' konnte bisher noch nicht erfolgen“. Das ungeduldige Zitat entstammt einem Antrag des Wirtschaftsressorts für weiterer 600.000 Mark Entwicklungskosten, der vergangene Woche genehmigt wurde.

So wird auch Frau S. in der Meldestelle Bahnhofstraße ihre Schreibmaschine noch lange nicht in den Behörden-Sperrmüll geben können. Stefan Marx, im Innenressort für die „Demos“-Einführung zuständig: „Die Möglichkeiten, Bildschirmdaten wie bei der Beantragung eine Führungszeugnisses direkt in die Formulare zu drucken, sind noch in der Testphase. Unsere Priorität ist zunächst, die dezentrale Eingabe von Änderungen im Rahmen des unglaublich komplizierten Meldegesetz zu verwirklichen.“ Dirk Asendorpf

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