Sprachlehrer im „Land der Morgenstille“

■ Das Wirtschaftswachstumsland Südkorea lockt viele „working travellers“ / Die meisten Gastlehrer sind Langzeitreisende und jobben für ihren weiteren Asientrip

Auch im Jahr 1994, von der Vereinigung der asiatischen Tourismusbehörden zum „Visit Korea Year“ ausgerufen, tut sich Südkorea immer noch schwer, mehr Touristen in das „Land der Morgenstille“ zu locken – nicht zuletzt wegen des sich erneut zuspitzenden Konflikts mit dem kommunistischen Norden des geteilten Landes. Doch mit dem boomenden Wirtschaftswachstum in dem Schwellenland, das zu den „Vier Drachen“ Nordostasiens zählt, hat sich ein neuer Touristentypus herausgebildet: der working traveller.

Wie die anderen „Drachenländer“ Taiwan, Hongkong und Singapur auch sucht Südkorea muttersprachliche Lehrkräfte für die Angestellten der dortigen exportorientierten Wirtschaftsunternehmen. Wie Pilze schießen Fremdspracheninstitute aus dem Boden. Tausende überwiegend junger Reisender wollen als ausländische Sprachlehrer den schnellen Won machen, denn das Honorar liegt weit über dem landesüblichen Verdienstniveau.

Die Erwartungen werden in der Regel nicht enttäuscht, es sei denn, man wird von der Einwanderungsbehörde bei einer der seltenen Stichproben auf frischer Tat ertappt. Die vorwiegend aus Großbritannien, USA, Kanada und Australien stammenden Gastlehrer jobben hier illegal, da die südkoreanische Regierung nur im Ausnahmefall ein Arbeitsvisum erteilt. Deshalb versuchen die Geschäftsführer der meist privaten Institute, eine Ausweisung ihrer ausländischen Arbeitskräfte mit beträchtlichen Bestechungsgeldern zu verhindern. Häufig mit Erfolg.

Obwohl die größte Nachfrage nach Lehrkräften aus englischsprachigen Ländern besteht, werden zunehmend auch deutsche, französische und spanische muttersprachliche Lehrer benötigt. Weil es an diesen aber mangelt, können auch Traveller als Gastlehrer auf Urlaubszeit jobben und so ihre Urlaubskasse wieder auffüllen. Während die ausländischen Englischlehrer überwiegend in Privatinstituten Arbeit finden, können deutschsprachige Gastlehrer mit Abitur oder geisteswissenschaftlichem Hochschulstudium nicht nur privat, sondern auch noch an einer koreanischen Oberschule unterrichten. Seit Jahrzehnten wird dort bereits Deutsch gelehrt, und seit Ende der achtziger Jahre werden vermehrt deutsche Gastdozenten eingesetzt. Auch hier arbeiten die Ausländer zumeist ohne offiziellen Vertrag. Da vom Lohn (etwa 44 Mark pro Stunde, in den Instituten durchschnittlich 26 Mark) ein Prozent an Steuern abgezogen wird, duldet die Regierung die halblegal beschäftigten Arbeitskräfte.

Wer in Korea als ausländischer Gastlehrer arbeiten möchte, sollte mehr als sechs Wochen Jahresurlaub dafür Zeit haben. Während die Personalchefs der Privatinstitute in der Regel einen Aufenthalt von mindestens zwei bis drei Monaten erwarten, werden die Oberschullehrer semesterweise beschäftigt. „Clevere“ Gastlehrer nutzen ihren illegalen Beschäftigungsstatus aus: Ist ihnen ein Arbeitsvertrag zu lang oder ein Arbeitsplatz unangenehm, machen sie sich nach der nächsten monatlichen Lohnauszahlung einfach aus dem Staub.

Nicht zuletzt kann der Arbeitsaufenthalt in Südkorea auch dazu beitragen, Kultur und Lebensweise der Bevölkerung (intensiver) kennenzulernen. So quartieren sich manche Gastlehrer Tage oder Wochen in einem der zahlreichen buddhistischen Nonnen- oder Mönchsklöster ein. Und an den Sprachinstituten und Oberschulen ergeben sich oft intensive Kontakte zwischen Schülern und Studenten. Die Deutsch Lernenden an den Instituten, vorwiegend Akademiker oder Studenten der Germanistik, Rechtswissenschaften, Philosophie, Musik und Bildenden Kunst, wollen ihre Konversationskenntnisse verbessern und sich auf einen Studien- oder Promotionsaufenthalt in Deutschland vorbereiten.

Im Unterricht wird mit antiquierten Lehrbüchern deutsche Politik, Kultur und Lebensweise vermittelt und in Diskussionen die Konversation geübt. Häufig kommt es hierbei zur ungewollten Konfrontation zwischen asiatischer und deutscher Denkart, denn im konfuzianistisch geprägten Korea gibt es keine Diskussionskultur wie bei uns. Schon einfache Vergleiche deutscher und koreanischer beziehungsweise anderer asiatischer Lebensweisen werden von den nationalstolzen Koreanern als Herabwürdigung ihrer Kultur mißverstanden.

Beim Unterricht an einer koreanischen Oberschule treten andere Probleme zutage. Weil das Familienleben im Konfuzianismus streng hierarchisch, fast militärisch geregelt ist, verlangen die Lehrer von den zwischen 16 und 18 Jahre alten Oberschülern absoluten Gehorsam. Die Prügelstrafe ist in den streng nach Geschlechtern getrennten Klassen an der Tagesordnung. Erwartungsgemäß machen da die ausländischen Lehrkräfte nicht mit. Doch die neu gewonnene Freiheit mißbrauchen die Schüler hemmungslos. Die Gastlehrer brauchen ein kräftiges Stimmorgan und Durchsetzungsvermögen.

Die beste Anlaufstelle für Fremdsprachenlehrer in spe sind die Yogwans, traditionelle koreanische Herbergen, im zentral gelegenen Seouler Bezirk Chongno- gu. Hier wohnen die meisten der ausländischen Arbeitskräfte. Sie können Informationen über Sprachinstitute und Oberschulen geben. 30 Stunden Jobben in der Woche bringen (je nach Beschäftigungsort) im Schnitt 1.300 Dollar pro Monat.

Die meisten Gastlehrer sind Langzeittraveller. Sie verdienen sich in Südkorea oder anderen asiatischen Ländern Geld für ihre Weiterreise. Viele tun dies schon seit Jahren – immer im gleichen Turnus. Südkorea ist also die ideale Verweilstation auf einem längeren Asientrip, eine neue Art, kostengünstig zu reisen, die – zumal in Zeiten wachsender Arbeitslosigkeit in Europa – neue Perspektiven im fernen Osten eröffnet. Rupert Haag