: Enigmatisches Set
Die Karriere des Techno-Fanzines „Frontpage“ ■ Von Martin Muser
„Bei einer Umfrage eines Forschungsinstituts unter einem repräsentativen Querschnitt von 16- bis 25jährigen gaben cirka 25 Prozent an, Techno zu hören und zu mögen. Das heißt, daß es sich bei Techno und allem, was dazu gehört, um eine der bedeutendsten Jugendkulturen der 90er Jahre handelt (...). Alle haben dies inzwischen begriffen und jeder will dabaisein. Ob jeder kann, ist noch so die Frage.“
Markige Trivialsoziologie aus dem Frontpage-Editorial. Doch hinter der großtuerischen Schreibe schlägt mir eine Wahrheit ins Gesicht: Ich bin nicht „dabai“. Techno ist die erste Jugendkultur, die ich nicht mehr qua „Dabaisein“ quasi selbstverständlich verstehe. Ich bin alt geworden. Banal, aber das mußte mal gesagt werden. Was bleibt, ist der ethnographische Blick auf eine fremde Jugend: die Musik, die Mode, die Texte der Techno-Bewegung als enigmatisches Zeichen-Set, das ich zu dechiffrieren versuche.
Frontpage. Eine rasante Zeitungskarriere: Das Sprachrohr der deutschen Techno-House-Gemeinde hat sich innerhalb von fünf Jahren in eine Auflagenhöhe von 60.000 Exemplaren katapultiert. Angefangen hatte das Blatt 1989 als erweiterter Flyer des Techno- Clubs Frankfurt: acht Seiten, trashiges schwarz-weiß, gedruckt in 5.000 Exemplaren. Seit 1991 kommt Frontpage aus Berlin. Das Heft hat mittlerweile 64 Seiten, längst wird farbig gedruckt. Erhalten blieb das Verteilsystem: nach wie vor wird Frontpage über Szene-Clubs, Platten- und Modeläden an seine LeserInnen gebracht. Kostenlos. Das Geld kommt über Werbung. Das Anzeigenvolumen liegt mittlerweile bei 120.000 Mark pro Ausgabe. Längst haftet dem Szene-Heft Kultstatus an. Mainstream-Medien wie die allseits um Zeitgeist bemühten Blätter Prinz und Wiener (inzwischen eingegangen) bedienten sich bei Schreibe und Graphikdesign.
Mitgründer und technoider Hauptingenieur von Frontpage ist Jürgen Laarmann („JL“), heute Chefredakteur und Herausgeber in einer Person. Außerdem ist er Teilhaber bei den Raver-Großspektakeln „Mayday“ und „Love- Parade“, sowie Mitinhaber einer Plattenfirma. JL, der sein Alter mit zarten 26 Jahren beziffert, bezeichnet sich selbst kokett als „kleinen Medienarbeiter“ – tatsächlich ist er der Kopf eines wahren Techno- Imperiums. Mit seinem Funktelefon jettet er durch die „real world“. Immer im Dienste der Bewegung. Wenn nicht anderswo, sitzt er in den neu angemieteten Redaktionsräumen, einer Büroetage auf der Tauentzien in feinster Berliner City-Lage, die – wie er gerne erzählt – vorher dem flüchtigen Immobilienmakler Schneider gehört hat.
Laarmans letzte schreiberische Geistestat war die Verkündung der Techno-Gesellschaft. In dumpfem Raunen, doch mit viel Sendungsbewußtsein beschwört er eine Vision, von der niemand so genau weiß, wie sie eigentlich aussehen soll: „Es gibt Fragen über Fragen, Zweifel über Zweifel, aber auch viel Begeisterung und einen Energieschub wie seit Jahren nicht mehr. Keine Ahnung, was passieren wird, aber wir haben die Vorahnung, daß die Visionen, die heute zur ,Raving Society‘ entwickelt werden, einen großen gesellschaftlichen Impact haben, vielleicht einen bedeutenderen als die Theorien und Ideologien der 68er Bewegung.“
Messianische Worte. Doch anders als die „Nixblicker“ der Yuppie-Generation, die sich an einem veralteten „Hippness-Ideal“ orientiert haben, verstehen sich die Techno-Bewegten als Überzeugungstäter: „Wir haben ein klares Weltbild, feste Werte, einen möglichen Weg und ein erreichbares Ziel, auf das wir hinarbeiten. Wir sind keine Nihilisten, die mal das, mal jenes (immer voll obercool) gut finden.“
Doch der Wille zum Überbau bleibt in der hohlen Geste stecken. Inhaltlich besticht die Frontpage- Schreibe vor allem durch Nullsätze. Man pflegt einen pseudoliberalen Dogmatismus mit Hang zum Tautologischen: „Wir versuchen unsere Welt für uns zu verbessern, es liegt an Dir, ob Du unser Beispiel nutzt, um, wie auch immer, für Dich Deine/unsere Welt zu verbessern.“ Was bleibt, ist ein verschwiemelter Technikbegriff – „Technik wurde immer eingesetzt, um schneller ans Ziel zu kommen und sich dem zu widmen, was die Essenz ist“ – und ein plattes Bekenntnis zum Raver-Hedonismus: „Wir wollen unseren Spaß direkt und ohne Umweg.“
Ein seltsames Weltbild. Tatsächlich läßt mich die Frontpage- Lektüre eher ratlos zurück. Doch wo die Inhalte fehlen, entschädigt die Zeitung durch die Optik. Langsam lerne ich die redaktionellen Teile von den reich gesäten Anzeigen zu unterscheiden. Hier wie dort wuchern computerggenerierte Mandelbrot-Graphiken und eine entfesselte Typographie: fragmentierte Buchstabenruinen und wild kompilierte Schriften. Zuständig für die „Visualisierung des Techno-Feeling“ sind der Graphiker Alexander Branczyk und der Apple Macintosh: üppige Bildstrecken zeigen die Raver in Aktion, andere bringen Mode, dazwischen gibt es massenhaft Interviews mit DJs, einen Testbericht über die neueste Samplingmaschine und einen Partyguide.
Alles bunt, schrill und unübersichtlich. Überall springen mir kryptische Namen von Labels und Musikstilen entgegen. Wie hört sich ein „clonkiger Warp“ an? Wieviel bpm hat der Chicagosound? Ein hermetischer In-Jargon. In der Rubrik „City-Report“ berichten lokale Techno-Agenten aus allen Winkeln der Bundesrepublik, wo es mal wieder „richtig geilen House auf die Ohren gab“. Ludiace aus Freiburg schreibt über das Ereignis schlechthin: „Walhalla Sunshine Rave III. Hier war endlich mal wieder geile Feierei angesagt (...). Shelly glänzte mit Acidtrance und Shaddy brachte die Meute mit Breakbeats zum Kochen.“ Täusche ich mich, oder ist das die Rückkehr der Tanzbodenbiederkeit im Techno-Gewand?
Wirklich beeindruckend an Frontpage ist der wirtschaftliche Erfolg. Von Anfang an verstanden es die Ingenieure der Techno-Bewegung, die Mittel der Marktwirtschaft für sich zu nutzen. Sie taten Sponsoren auf, gründeten Firmen und entwickelten ausgefeilte Marketingkonzepte für ihre Projekte. Jeden Vorwurf der Abzockerei weist Laarmann entschieden zurück: „Wir waren nie gegen das Geldverdienen, und angesichts der Tatsache, daß wir Pionierarbeit geleistet haben, ist jede Mark, die wir heute machen, gerecht verdient.“
Mit Skrupeln halten sich die Techno-Profis nicht auf. Die Jugendmusikkultur hat sich – wie andere vor ihr auch – längst zu einem Wirtschaftsunternehmen entwickelt. DJ-Stars wie Marusha, Sven Väth und WestBam verdienen mit ihren Auftritten und Platten richtig Geld.
Auch Frontpage hat weitere Ambitionen. Das einstige Techno- Fanzine ist auf dem Weg, ein allgemeines Szene-Blatt zu werden. Demnächst wird eine Filmrubrik installiert. Im August soll der Ableger Sense herauskommen, die „Modezeitschrift für die 90er Jahre“. Ansonsten wartet man gelassen auf Angebote von großen Verlagen. Ganz nach Laarmanns Devise: „Use Techno! Besser ist besser als schlechter ...“
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