: "Deutsche müssen Deutsch können"
■ Die Koreanerin Moon, die seit 1978 in der Bundesrepublik lebt, versuchte, in Wedding einen Sozialhilfeantrag zu stellen / Er endete mit Beschimpfungen und einer in der Tür eingequetschten Hand
„Bekannte haben mich davor gewarnt, Sozialhilfe zu beantragen“, sagt die 38jährige Malerin mit dem Künstlernamen Moon. Die Koreanerin, die seit 1978 in Deutschland lebt und seit zwei Jahren einen deutschen Paß hat, zögerte „sehr lange“, bis sie sich zu diesem Schritt entschloß. „Aber mir blieb keine andere Wahl mehr.“ Was sie dann im Weddinger Sozialamt erlebte, übertraf alle Befürchtungen bei weitem.
Am vergangenen Dienstag kam sie pünktlich zu ihrem Termin um halb zwölf, um fehlende Unterlagen nachzureichen. „Es wurde ein Name aufgerufen, aber zu leise, um ihn verstehen zu können. Ich wartete, bis die nächste Tür aufging, um zu fragen, ob ich aufgerufen worden war. Eine Angestellte wollte die Tür gleich wieder schließen, da habe ich die Tür aufgezogen, um eine Auskunft zu bekommen. Sie hat mich angeschnauzt: Machen Sie sofort die Tür frei! Ich habe gesagt: Was soll denn das? Dann kam die Sachbearbeiterin und sagte, sie hätten mich schon zweimal aufgerufen.“ Moon protestierte, sie könne nichts dafür, daß sie nicht da sei, wenn sie vor ihrem Termin aufgerufen werde. Obwohl ihre rechte Hand noch die Türkante umschloß, habe die Sachbearbeiterin dann mehrmals „mit Absicht“ die Tür zugeknallt. Dabei sei ihre Hand eingequetscht worden.
Das Sozialamt Wedding bestritt den Vorfall auf Nachfrage. Eine Befragung der Mitarbeiterinnen habe eine andere Version ergeben, so der stellvertretende Amtsleiter Dieter Donnig. Die Antragstellerin sei erst kurz vor 12 Uhr gekommen und wäre schon zweimal aufgerufen worden. Als sie eingetroffen sei, habe man sie gebeten, auf dem Flur Platz zu nehmen. Doch als sie das nächste Mal aufgerufen worden sei, sei sie weg gewesen. Auch die zwei Wachschutzbeamten, die seit einem dreiviertel Jahr auf den Fluren patroullierten, hätten nichts gesehen.
Ein der taz namentlich bekannter Zeuge bestätigt jedoch den Vorfall: „Die Tür wurde mehrmals hintereinander zugeschlagen. So etwas Brutales habe ich noch nicht gesehen. Die Sachbearbeiterin muß doch gesehen haben, daß die Frau ihre Finger dazwischen hatte.“ Schon als sie an der Tür um Auskunft gebeten habe, sei sie „in rüdem Ton“ zurechtgewiesen worden. Er bestätigt auch, daß der Vorfall sich gegen halb zwölf ereignet hätte.
„Zum Glück ist nichts gebrochen“, sagt Moon. Ein Arzt, den sie kurz darauf aufsuchte, um sich die Verletzung attestieren zu lassen, stellte eine Quetschung fest. Sie hat eine Dienstaufsichtsbeschwerde eingelegt.
Unter den Berliner Sozialämtern ist die Weddinger Behörde für eine sehr restriktive Bewilligungspraxis berüchtigt. SozialhilfeempfängerInnen klagen häufig über zu lange Wartezeiten und unfreundliches Personal. „Wir sind erheblich unterbesetzt. Dazu kommen eine Reihe von Ausfällen“, schildert Amtsleiter Wolfgang Nehmer die Lage. Sein Stellvertreter Dieter Donnig räumt ein: „Es kommt öfter mal zu Reibereien zwischen Antragstellern und Mitarbeitern. Da passieren auch Dinge, die wir zugeben müssen.“
Er nimmt die MitarbeiterInnen in Schutz: „Die Flure sind schwarz vor Antragstellern, das sind jeden Dienstag und Freitag Hunderte. Die SachbearbeiterInnen arbeiten von halb acht bis um zwei ohne Pause.“
Moons Bitte nach einer anderen Sachbearbeiterin wurde nicht erfüllt. Am Freitag saß sie der Frau erneut gegenüber, wenn auch im Beisein des Gruppenleiters. Als Moon eine handschriftliche Notiz der Angestellten nicht entziffern konnte, sagte diese: „Wenn man Deutsche ist, muß man auch Deutsch lesen können.“
„Außerdem muß ich diese Woche fünf Nachweise erbringen, daß ich mich um Arbeit bemühe“, sagt Moon. Nehmer bestätigte, daß das Sozialamt Wedding bei arbeitsfähigen Antragstellern üblicherweise so verfahre. Die Frage, ob sie auch in den kommenden Wochen je fünf Nachweise erbringen müsse, beantwortete er mit: „Das muß ich grundsätzlich bejahen.“ Dies ist eine sehr scharfe Auslegung des Bundessozialhilfegesetzes. Zwar müssen Sozialhilfeempfänger tatsächlich versuchen, Arbeit zu finden, aber nach der ersten Auszahlung gleich fünf Nachweise innerhalb einer Woche zu verlangen ist nicht üblich. Dorothee Winden
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