: Müll in Selbstverwaltung
Israelische Besetzung und Intifada hinterließen ein Umweltdesaster im Gaza-Streifen / Palästinenser gründen eigene Umweltbehörde ■ Von Stephan Richter
Berlin (taz) – Betrachtet man eine überall in Israel erhältliche Satellitenkarte, so ist offensichtlich: Israel ist grün, Gaza und die Westbank des Jordan wüstenartig gelb und braun. Die „Green Line“ trennt intensiv bewässerte Landwirtschaft von überweideten Hügelketten, ein einigermaßen funktionierendes von einem zusammenbrechenden Abfallsystem. Rohrbrüche und Müllberge an jeder Straßenecke – das ist Gaza City heute. Umweltschutz wurde während der Okkupation von den Israelis wie auch den Palästinensern vernachlässigt.
Vor zwei Monaten beauftragte die PLO-Führung den Leiter des Applied Research Institute Jerusalem, Jad Isaak, mit dem Aufbau einer eigenen Umweltbehörde. Die Palestinian Environmental Protection Agency (PEPA) soll noch in diesem Jahr von Jerusalem aus ihre Arbeit aufnehmen.
Israel hatte Gaza und die Westbank nicht annektiert – im Unterschied zum Golan. Folglich waren israelische Umweltgesetze hier nicht anwendbar. Offiziell gelten für die Westbank jordanisches und für den Gaza-Streifen ägyptisches Umweltrecht – es stammt aus dem Jahr 1967. Hinzu kommt, daß die Militäradministration jedes Gesetz nach Bedarf außer Kraft setzen kann. Was die Umwelt betrifft, sind Gaza und die Westbank praktisch ein rechtsfreier Raum.
Der Druck auf die natürlichen Ressourcen ist durch Wasserverknappung und rapides Bevölkerungswachstum enorm. In Gaza verbrauchen 15.000 jüdische Siedler 80 Prozent des verfügbaren Wassers – zu Vorzugspreisen, 800.000 Palästinenser müssen sich die restlichen 20 Prozent teilen. 1991 wurden 35 bis 50 Millionen Kubikmeter zuviel gepumpt, schätzt das Environmental Protection Center Gaza, mit dem Ergebnis, daß kein einziger Tropfen Wasser die WHO-Standards für Wasserqualität einhält. Jad Isaac hält den Schaden für unumkehrbar, weil die Grundwasserleiter versalzen.
Giftige Industrien im rechtsfreien Raum
Die hohe Bevölkerungsdichte von 2.500 Einwohner pro Quadratkilometer (Israel: 250) scheint eine nachhaltige Entwicklung von vornherein unmöglich zu machen. Der Verdacht liegt nahe, daß in der Vergangenheit „unsaubere“ Industrien und Abfallprodukte in die besetzten Gebiete ausgelagert wurden: Eine Düngemittelfabrik nahe Kfar Saba mußte 1987 aufgrund von Bürgerprotesten schließen. Kurz darauf produzierte sie in Tulkarm in der Westbank, ebenso wie eine Fabrik für technische Gase aus Natanya.
Eine Untersuchung von Danish Chemcontrol gab Israels Giftmüllproduktion für 1990 mit 100.000 Tonnen an. Nur 48.000 Tonnen davon erreichten die offizielle Sonderdeponie in der Wüste Negev. In Israel verbotene Pestizide und Düngemittel werden in der Westbank vermarktet – mit Gebrauchsanweisungen in hebräischer und englischer Sprache.
Das Palestinian Human Rights Info Center berichtete in seinem Jahresbericht 1993, daß seit Ausbruch der Intifada 184.257 Bäume durch israelisches Militär gefällt und etwa 50.830 Hektar Land konfisziert wurden. Die Weidefläche für die hauptsächlich von der Landwirtschaft lebenden Palästinenser wird immer kleiner, nicht jedoch die Herden der Beduinen.
Gemeinsame Abwasseranlagen oder Mülldeponien von jüdischen Siedlungen und arabischen Nachbarstädten gibt es nicht. Aus politischen Gründen waren die lokalen Behörden in Gaza bisher auch gegen Projekte zur Meerwasserentsalzung.
Aktivisten beider Seiten bemühten sich jedoch schon länger um eine Annäherung jenseits der politischen Fronten. So richtete das Israel/Palestine Center for Research and Information im letzten Jahr Rundtischgespräche auch zu Umweltproblemen ein. Experten der fünf palästinensischen Universitäten, von internationalen Entwicklungshilfe- und Umweltorganisationen und israelische Wissenschaftler bemühen sich um Kooperation in Forschung, Umwelterziehung und natürlich Soforthilfe. Den Vorwurf der palästinensischen Seite, daß ihr die Umweltprobleme allein überlassen werden, wehrt Brigadegeneral Fredy Zach, der Vertreter der Militäradministration, bei den multilateralen Friedensgesprächen ab: „Natürlich haben auch wir ein Interesse an der gemeinsamen Umwelt und werden als Partner auf bilateraler Ebene zusammenarbeiten.“
Kooperation gegen Umeltkatastrophen
Nach Angaben des Verteidigungsministeriums gab Israel in den letzten zwei Jahren 20 Millionen Dollar für Abwassersammelanlagen aus. Die Arbeitsgruppe Umwelt bei den multilateralen Friedensgesprächen beschloß, ein gemeinsames Katastrophenzentrum am Golf von Aquaba einzurichten. Am Roten Meer soll Havariegerät für den Einsatz bei Schiffsunfällen und Ölkatastrophen der israelischen, jordanischen und ägyptischen Seite gleichermaßen zur Verfügung stehen; mit finanzieller Unterstützung der EU soll der Austausch von Meßwerten und Informationen organisiert werden. Die Weltbank will ein Projekt gegen Verwüstung mit 12 Millionen Dollar sponsern.
Die Gespräche konzentrieren sich nun auf einen gemeinsamen Verhaltenskodex gegen Umweltverschmutzung. Fünf Millionen Dollar für eine einmalige Abfallbereinigung des Gaza-Streifens hat die holländische Regierung zugesagt. Die EU hat 35 Millionen Dollar für ein Netz von Deponien in Aussicht gestellt. Der PEPA- Aktionsplan sieht zunächst den Aufbau eines Umweltmanagements vor, auch unter Hilfe der deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ). Das Environmental Law Institute in Washington hilft bei der Formulierung eigener Umweltgesetze. Mit 9,5 Millionen Dollar, heißt es, sei die Finanzierung erster Aktivitäten von PEPA, die Ausbildung eigener Fachkräfte und eine Umweltkampagne für die Bevölkerung gesichert.
Gemessen am Standard eines Dritte-Welt-Landes hat ein zukünftiger Staat Palästina ein relativ hohes wissenschaftliches Potential und gute Chancen für den Umweltschutz. Doch der Friedensprozeß bringt neue Herausforderungen: Industrialisierung und Entwicklung des Tourismus. Das Müllaufkommen in Gaza und der Westbank ist heute (noch) zehnmal niedriger als in Israel, den Lebensstandard der israelischen Nachbarn aufzuholen ist jedoch ein Wunsch, den man den Palästinensern nicht absprechen kann.
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