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Ein „todsicheres“ Geschäft

Die Gesellschaft „Life Benefit“ handelt mit dem Tod: Sie kauft die Lebensversicherungspolicen von Aidskranken auf – Bedingung: Die Lebenserwartung darf nur noch zwei Jahre betragen  ■ Von Ingo Müller

Wuppertal (taz) – Der 38jährige Martin S. (Name von der Redaktion geändert) bezieht seit mehr als einem Jahr eine karge Rente. Grund: Er ist an Aids erkrankt. Auch seine berufstätige Frau kann die finanziellen Einbußen, die durch den Verdienstausfall entstehen, nicht mehr auffangen. Das Ehepaar ist pleite. „Und wenn ich das alles ernst nehme, was die Ärzte mir gesagt haben, dann habe ich nur noch ein Jahr zu leben“, erzählt der Wuppertaler. Sein Pflegegeldantrag wurde nach einer Bearbeitungszeit von sieben Monaten abgelehnt. „Verdammt, wie krank muß man sein, damit die einem helfen? Ich habe das Gefühl, die warten nur darauf, daß ich abkratze, damit sie nichts mehr zahlen müssen.“ Schließlich muß Martin S. einen nicht unwesentlichen Teil teurer Medikamente aus eigener Tasche bezahlen und den ehrenamtlichen PflegerInnen zumindest die Fahrtkosten ersetzen.

Was tun, um an Geld zu kommen? Die einzige Möglichkeit schien Martin S. der Verkauf seiner Lebensversicherung. Doch die Versicherung kann ihm nur das auszahlen, was er und seine Frau bislang eingezahlt haben. Die Versicherungssumme beläuft sich auf 45.000 Mark, doch angespart hat das Paar gerade mal um die 6.000 Mark. Dann hörte Martin S. von einem anderen Weg: Die Londoner Gesellschaft „Life Benefit Resources“ „kauft“ unheilbar Kranken die Police ihrer Lebensversicherung ab und zahlt zwischen 55 und 80 Prozent des vollen Wertes, sprich Versicherungssumme plus Zinsen und Gewinnanteile, aus. Die weitere Prämienzahlung übernimmt die Gesellschaft. Bedingung: eine Lebenserwartung von maximal noch zwei Jahren. Außerdem müssen die im Leistungsfall begünstigten Person auf die Todesfallsumme verzichten.

„Ich hab' das lange mit meiner Partnerin durchgesprochen“, berichtet Martin S., „wir brauchen das Geld.“ Er und seine Frau hatten ihre Konten so weit überzogen, daß der finanzielle Spielraum längst ausgereizt war. Das kinderlose Paar bestellte über eine gebührenfreie Telefonnummer ein Antragsformular. Martin S. unterschrieb, daß im Todesfall keine Kinder zu versorgen seien, fügte die Verzichterklärung seiner Frau und die Atteste seines Hausarztes bei und sandte die Unterlagen nach London.

In Deutschland ist der Kieler Agent Georg-Ove Daniel einziger Vertreter der „Life Benefit“. Er warb Martin S. als neuen Kunden an. Die Bereitschaft des Aidskranken, offen über seine Probleme zu sprechen, wußte Daniel werbewirksam zu nutzen. Er organisierte Presseinterviews mit Martin S., um in diesem Rahmen auch auf die „Life Benefit“ aufmerksam zu machen. Daniels neuer Hoffnungsträger bekam Darstellerhonorare verschiedener Rundfunkanstalten und ersparte der „Life Benefit“ teure Werbekosten.

Erst durch den Presserummel um Martin S. wurde auch sein Lebensversicherer, die Hamburg- Mannheimer, auf ihn aufmerksam. Sie machte ihrem Kunden ein Angebot, das jenes der Engländer übertreffen sollte. Sie versprach S. einen Kredit, dessen einzige Sicherheit die Todesfallsumme bieten sollte, bat Martin S. jedoch um Diskretion. Versicherungen dürften ja eigentlich keine Bankgeschäfte tätigen. Laut Versicherungsvertragsgesetz hat das Bundesamt für das Versicherungswesen Fälle von Darlehensvergabe ohne Sicherheit zu ahnden.

Skeptisch setzte sich Martin S. mit „Life Benefit“-Vertreter Daniel in Verbindung, und prompt wurde eine neue Variante des ursprünglichen Angebotes ausgearbeitet. Dieses beinhaltet eine Vorauszahlung eines Teils der Versicherungssumme, verbunden mit einer Rente für den Rest seines Lebens – berechnet auf der vertraglichen Grundlage von zwei Jahren.

Martin S. ging darauf ein, obwohl die Hamburg-Mannheimer ihn nochmals auf den hohen Kapitalverlust hinwies und ihrerseits ein neues Geschäft offerierte. Idee des Versicherungskonzerns: ein individuell hoher Kredit auf die Todesfallsumme. Die Summe, die nach S.' Tod den Angehörigen ausgezahlt würde, verringere sich lediglich um die Kreditsumme, Zinsen und Bearbeitungsgebühren. Entgegen allen Erwartungen meinte ein Bezirksdirektor der Hamburg-Mannheimer, man wolle so auch künftig auf die finanziellen Schwierigkeiten Todkranker eingehen und einen Präzedenzfall schaffen, auf den sich alle Aids-, Krebs- und Leukämiepatienten berufen könnten. Doch Martin S. lehnte ab und unterschrieb den Vertrag der „Life Benefit Resources“.

Diese existiert in England seit Mitte 1992, arbeitet inzwischen auch in den Niederlanden und bedient über das Kieler Einmannbüro seit Juli 1993 den deutschen Markt. Der Exbörsenmakler und Gründer der Gesellschaft, Richard Legg, überzeugte seinerzeit vier englische und amerikanische Privatleute davon, in ein „todsicheres“ Geschäft einzusteigen. Acht bis neun Prozent Rendite reichten aus, die Investoren für die bereitgestellten 60 Millionen Dollar zufriedenzustellen, behauptet Daniel. „Und wenn das Kapital nicht ausreicht, dann fliegt Richard Legg über den großen Teich und akquiriert neue Geldgeber“, fährt er fort.

Nach Abzug aller Kosten und Steuern überweise man die Gewinne auf das Konto einer Tochtergesellschaft, der sogenannten Life Benefit Resources Foundation, die ihrerseits das Geld treuhänderisch verwalte und später solchen Organisationen spende, die in Deutschland und England mit unheilbar Kranken arbeiten.

Soviel zum sozialen Touch, den sich die englische GmbH verleiht. Angeblich, so Daniel, handele es sich bei einem der Geldgeber um einen amerikanischen Milliardär und Medienmogul. Aber man könne sichergehen, daß auf keinen Fall schmutziges Geld gewaschen werde. Bleibt nur zu klären, warum die Investoren bei so viel Gutmütigkeit anonym bleiben wollen.

„Life Benefit“ ist nach Aussage Daniels auf dem besten Wege, sich auch nach Italien auszudehnen. Sterbenskranke Menschen gebe es überall auf der Welt, und was könne daran unmoralisch sein, wenn man anderen Menschen weiterhelfe?

In den USA sind Agenturen wie die „Life Benefit Resources“ schon seit der Verschärfung der Aidskrise Mitte der achtziger Jahre sehr erfolgreich. Über dreißig Gesellschaften bieten den „Service“ an. Dort haben Kaufleute die Möglichkeit, anonymisierte Krankheitsbilder und Vermögensverhältnisse einzelner Todgeweihter auf ihre Lukrativität hin zu prüfen. Investoren zahlen maximal 40 bis 60 Prozent der Todesfallsumme aus. Auf jeden Fall besteht die Möglichkeit, eine Lebensversicherung schon vor dem Ableben nutzbar zu machen. Sei es aufgrund der Kulanz des Versicherers oder mit Hilfe cleverer Geschäftsleute, die eine Marktlücke entdecken. Der Charakter einer Lebensversicherung wird dadurch zwar in Frage gestellt, aber Altersvorsorge oder Kapitalbildung interessieren bei einer Lebenserwartung von nur noch zwei Jahren wahrscheinlich nur am Rande.

Martin S. ist einer von etwa zehn unheilbar Kranken in Deutschland, die ihre Police der „Life Benefit Resources“ überschrieben haben. Mitte Juni wurde ihm das Geld überwiesen, mit dem er sich bereits einen kleinen Erholungsurlaub auf einer Nordseeinsel gönnte. Die Schulden seien bezahlt, die Beerdigung sei vorfinanziert, und vielleicht, so hofft er, könne das Geld auch dazu beitragen, sein Leben zu verlängern.

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