: Carribean Storm im Wasserglas?
■ Mit der Entscheidung des UN-Sicherheitsrates, eine Militärintervention in Haiti zu billigen, hat US-Präsident Bill Clinton nun freie Hand. Doch die innenpolitischen Widerstände sind groß. Und der ...
Mit der Entscheidung des UN-Sicherheitsrates, eine Militärintervention in Haiti zu billigen, hat US-Präsident Bill Clinton nun freie Hand. Doch die innenpolitischen Widerstände sind groß. Und der wankende Kurs Clintons ist längst nicht begradigt.
Carribean Storm im Wasserglas?
Es war eine Premiere, doch so richtig hat es keiner bemerkt: Am Sonntag ließen sich die USA zum ersten Mal seit Gründung der Vereinten Nationen den Segen derselben für eine Intervention in ihrem „Hinterhof“ erteilen. Mit 12 Jastimmen und zwei Enthaltungen durch die Delegierten Brasiliens und der Volksrepublik China verabschiedete der UN-Sicherheitsrat die Resolution 940, worin die Bildung einer „multinationalen“ Interventionstruppe und der „Einsatz aller notwendigen Maßnahmen“ autorisiert wird, um den Rücktritt der Militärführung in Haiti und die Rückkehr des legitimen Präsidenten Jean-Bertrand Aristide herbeizuführen.
Im Klartext gibt der UNO-Beschluß der Clinton-Administration wie seinerzeit der Bush-Regierung vor dem Golfkrieg freie Hand für eine Militärintervention unter US- amerikanischem Kommando gegen die Putschisten in Port-au- Prince um Generalleutnant Raoul Cedras – doch damit sind auch schon alle Klarheiten beseitigt. Innenpolitische Opposition und eine außenpolitische Prioritätenliste, auf der zur Zeit Ruanda und Bosnien die Plätze vor Haiti einnehmen, lassen es nach wie vor ungewiß erscheinen, ob Bill Clinton seine mehrfach geäußerte Drohung wahrmachen wird und die US-Marines nach Haiti schickt – zur Wiedereinsetzung eines demokratisch gewählten Präsidenten. Auch das wäre eine Premiere. Doch entgegen der Forderung Aristides haben sich die USA und der UN-Sicherheitsrat erneut geweigert, den haitianischen Militärs ein Ultimatum für ihren Rücktritt zu stellen. „Bald“ müßten sie die Macht abgeben, um eine Intervention zu vermeiden, erklärte am Sonntag vage Leon Panetta, neuer Stabschef im Weißen Haus, in einem Fernsehinterview mit CNN. Trotz der UNO-Resolution muß Clinton im US-Kongreß und in der US-Öffentlichkeit mit massivem Widerstand rechnen, sollte er sich tatsächlich zum militärischen Einsatzbefehl entschließen. In den Augen vieler Konservativer in beiden Parteien ist Aristide schlicht ein antiamerikanischer Populist mit potentiell sozialistischen Ideen. Selbst im Black Caucus, jenem Zusammenschluß schwarzer Abgeordneter, der Bill Clinton unlängst zu einer humaneren Flüchtlingspolitik zwang, herrscht keineswegs Konsens über den Einsatz von US-Truppen in Haiti. In den letzten Wochen hat der schleppende Entscheidungsprozeß bezüglich der Stationierung von US- Soldaten in Ruanda zudem gezeigt, wie schwer sich eine unsichere und auf Meinungsumfragen fixierte US-Regierung derzeit in der Außenpolitik tut.
Sobald „sichere und stabile Verhältnisse“ auf Haiti hergestellt sind, sollen die Interventionstruppen durch 6.000 UNO-Soldaten der United Nations Mission in Haiti (UNMIH) abgelöst werden. Zwar schreibt die Resolution vor, daß unter Leitung der UNMIH die haitianische Armee „professionalisiert“ und eine von der Armee getrennte Polizei aufgebaut werden soll. Doch die Clinton-Administration hat nach Angaben der Washington Post bereits ihre Absicht bekundet, die UNMIH-Mission mit mehreren tausend Soldaten zu bestücken – und sie unter amerikanisches Kommando zu stellen.
Das läßt aufhorchen, denn nicht nur Aristide und seine Berater haben wiederholt scharfe Kritik an der offensichtlichen Nähe zwischen Pentagon und haitianischer Armee geübt. Ian Martin, Ex-Generalsekretär von amnesty international und von April bis Dezember 1993 Leiter der zivilen Mission von UNO und der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) in Haiti, konstatierte unlängst, daß die USA trotz aller Solidaritätsbekundungen für Aristide immer klargemacht haben, wie wichtig ihnen der Fortbestand der haitianischen Armee ist – jener Institution, die aus der ersten US-Okkupation des Landes zwischen 1915 und 1934 hervorging und die seitdem Garant des Status quo ist. In einem Aufsatz der Zeitschrift Foreign Affairs zeichnet Martin das schrittweise Scheitern der tatsächlich multilateralen Initiativen zur Wiederherstellung der Demokratie in Haiti nach, dessen Ursache nach seiner Auffassung vor allem auf Seiten der USA zu suchen sind – und der Abhängigkeit der UNO von der einzigen verbliebenen Supermacht. Washington habe sich zum einen als notorisch gutgläubig gegenüber den haitianischen Militärs gezeigt und zum anderen den Fall Haiti in erster Linie als innenpolitisches Einwanderungs- und Asylproblem begriffen.
Nunmehr scheint die Zukunft Haitis wieder völlig in der Hand des großen Nachbarn aus dem vermeintlichen „Vorderhaus“ zu liegen. Daran ändert auch nichts, daß der Sicherheitsrat auf Drängen Rußlands die Bildung einer UNMIH-Vorhut beschlossen hat, die im Fall einer Intervention selbige beobachten soll. Eine ähnliche Beobachtergruppe mußte Moskau akzeptieren, als es im Juli die Zustimmung des Sicherheitsrates ersuchte, russische Truppen als peace keeper nach Georgien zu schicken. Andrea Böhm, Washington
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen