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„Gloria Victis“ – Ruhm den Besiegten

■ Am 50. Jahrestag des Warschauer Aufstandes legt Roman Herzog am Denkmal für die polnische Heimatarmee einen Kranz nieder / Auf große politische Gesten verzichtet er

Warschau (taz) – Das Denkmal für die Gefallenen der polnischen Heimatarmee auf dem militärischen Teil des Warschauer Powazki-Friedhofs liegt direkt nebem dem für die Opfer von Katyn. Trotz der drückend über den Gräbern liegenden Hitze ist der Friedhof sehr belebt. Am Heimatarmeedenkmal kommen immer wieder Menschen vorbei, die dort Blumen niederlegen oder kleine Kerzen anzünden. Für den Nachmittag ist auf dem Friedhof ein feierlicher Appell der überlebenden Warschauer Aufständischen geplant. Zwei Kränze, die an Bäumen neben dem Denkmal für die Aufständischen lehnen, erregen die Aufmerksamkeit der Friedhofsbesucher. Einer stammt vom Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland, der andere von der deutsch- polnischen Gesellschaft. Nur der letzte trägt eine Trauerformel: „Zum Gedenken an die Opfer“.

Pünktlich um 11 Uhr erscheint Roman Herzog mit einem aufgeregten Anhang aus Journalisten, Sicherheitsbeamten und Begleitpersonal. Zwei polnische Ehrengardisten mit aufgepflanzten Bajonetten, links und rechts des Denkmals aufgezogen, blicken ihm steif entgegen. Junge polnische Sicherheitsbeamte versuchen vergeblich, mit verständnisheischenden Blicken Friedhofsbesucher und Neugierige auf Abstand zu halten. Während Herzog die Marmorstufe hochsteigt, ertönt Trommelwirbel. „Gloria Victis“ steht auf dem Marmorblock, „Ruhm den Besiegten“. Die Losung habe ihn sehr beeindruckt, wird Herzog später in ein Mikrophon sprechen. Er legt die Schleifen des Gebindes zurecht und verharrt eine Schweigeminute.

Die polnischen Zuschauer merken erst jetzt, daß das der deutsche Präsident ist. Manche glauben, Kohl sei gekommen. Ein Gardist bläst mit reinem, zurückhaltendem Ton eine polnische Pfadfindermelodie auf der Trompete. Unter den vor 50 Jahren von deutschen Truppen ermordeten Aufständischen waren zahlreiche Pfadfinder.

Als Herzog zum Ausgang geht, überholt er zwei ältere polnische Hausfrauen, die in eine Diskussion vertieft sind. „Na schön, wenn er von Walesa eingeladen wurde, ist es auch in Ordnung, daß er da ist. Aber er hätte wenigstens etwas zur Vergangenheit sagen können, zu dem, was die Deutschen hier angerichtet haben.“ Als die andere einen Einwand macht, räumt sie ein: „Vielleicht nicht gerade am Grab. Aber wenigstens bei den offiziellen Feierlichkeiten.“ Die sollten am Abend in der Innenstadt stattfinden. Eine kurze Ansprache von Herzog ist dabei vorgesehen. Als dieser den Friedhof verläßt, begegnet er kurz Boris Jelzins Kanzleichef Sergej Filatow und dessen Troß, dann geht es per Limousine durch die Innenstadt zum Königsschloß und in die Altstadt.

Spektakuläre Gesten seien nicht zu erwarten, hieß es vor dem Besuch inoffiziell. Herzog fürchte politische Reaktionen in Deutschland. Wohl deshalb hat der vom Bundespräsidenten niedergelegte Kranz keine Widmung. In das Gästebuch des Warschauer Schlosses schreibt der oberste Repräsentant Deutschlands nur seinen Namen. Beim Gang durch die Altstadt hinterläßt er einen winzigen weiß-roten Rosenstrauß an einer Gedenktafel an der Marienkirche. In der Kirche hatten am 29. August 1944 deutsche Soldaten mehrere Dutzend Greisinnen erschossen, weil sie zu schwach waren, um deportiert zu werden. Auf dem Denkmal steht allerdings nur etwas von ermordeten Zivilisten. Er sei voller Wut über die Täter und erschüttert darüber, daß solche Dinge im deutschen Namen geschehen seien, spricht Herzog in ein Fernsehmikrophon. Die Limousinen warten bereits, für 2 Uhr ist ein Essen mit Staatspräsident Lech Walesa vorgesehen. Während die Wagenkolonne durch die Innenstadt fegt, dauern die offiziellen Feierlichkeiten auf dem Pilsudski-Platz an. Die Stadt ist voller älterer Menschen, die rot-weiße Armbinden tragen zum Zeichen, daß auch sie damals bei den Partisanen waren. Dazwischen immer wieder Pfadfinder, die bei der Organisation helfen. Klaus Bachmann

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