"28 Grad ist mein letztes Wort"

■ Nach einem hektischen Hoch herrschte gestern im Deutschen Wetterdienst ein geruhsames Tief / Die nächste Hitzewelle kommt bestimmt, aber nur für kurze Zeit

Kein Jubelschrei hallte durch die Zentrale des Deutschen Wetterdienstes, als es gestern vormittag nach über zwei Wochen tropischer Hitze und Trockenheit zum ersten Mal regnete. Auch Freudentänze auf den Tischen führte keiner auf. Statt dessen starrten die sieben Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen emotionslos auf ihre Monitore oder füllten Wetterkarten mit Buntstiften aus – als wäre nichts geschehen. „Das war doch nur ein ganz mickriger Schauer“, konstatierte Meteorologe Konrad Döbke nüchtern. „Die Niederschlagsmenge war so gering, daß sie überhaupt nicht meßbar ist.“

Nach der Hektik am vergangenen Wochenende herrschte in den Räumen des Wetterdienstes am Platz der Luftbrücke gestern wohltuende Stille. Am Samstag und Sonntag, als sich die Hitzegrade förmlich überschlugen, hatten alle Telefone gleichzeitig gebimmelt. „Man wurde von der Presse förmlich zu neuen Rekorden getrieben“, erzählte der Meteorologe vom Dienst, Detlef Schulz, fast wehmütig. „Es war schon eine spannende Zeit, man läßt sich von dem Fieber einfach anstecken.“ Es sei wie beim Sport: „Man hofft, daß eine neue Bestleistung aufgestellt wird.“

Die Sportsfreunde wurden bekanntlich nicht enttäuscht. Der Juli ging als wärmster Juli seit 160 Jahren in das Buch der Rekorde ein. Und der 1. August machte mit 38,1 Grad – gemessen auf dem Alexanderplatz – gleich weiter, denn damit stellte er die bisherige August- Jahrhundert-Bestleistung von 37,7 Grad in den Schatten. So viele Rekorde hintereinander machen süchtig. „Da fällt es schwer, sich wieder an den normalen Alltag zu gewöhnen“, gibt Detlef Schulz offen zu.

Seine Hoffnung, daß sich der Höhenflug der heißen Tage mit Temperaturen über 30 Grad noch weiter in den August hinein fortsetzt, wurde gestern jedoch von dem Tief Veronika zunichte gemacht. „Weitere Rekorde im August sind nicht zu erwarten“, ist sich Schulz fast sicher. Bis zum Samstag, Sonntag würden die Temperaturen zwar noch einmal über 30 Grad hochgehen, „aber in der nächsten Woche deutet sich eine weitere Abkühlung an“. Die Sonnenscheindauer verringere sich dann zusehends, so daß es kaum noch heißer als maximal 25 Grad werde.

Der Wetterdienst residiert am Platz der Luftbrücke in einem Teil der Räume, wo früher das Reichswetteramt untergebracht war. Er ist dem Deutschen Wetterdienst in Offenbach unterstellt, der 1945 Rechtsnachfolger des Reichswetterdienstes wurde. Die 3.000 Mitarbeiter, 93 davon in Berlin, sind Angestellte des öffentlichen Dienstes. Die Serviceleistungen werden nach einer festen Gebührenordnung abgerechnet. Hauptaufgabe ist es, aus dem vielfältigen Datenmaterial den täglichen Wetter- und Flugwetterbericht und die Prognosen für die kommenden Tage zu erstellen, die Luftverkehrsgesellschaften, Hobbyflieger, Medien und Privatleute zu beliefern und zu beraten.

Einer der rund 30.000 Hobbyflieger, die jährlich den Flugwetterbericht abfragen, bekam für die geplante Luftreise von Nauen nach Magdeburg gestern von einer Mitarbeiterin wegen „tiefhängender Wolken“ den Rat: „Meiden Sie Potsdam.“ An einem anderen Apparat wollte jemand wissen, ob es bis 11 Uhr denn noch 28 Grad würden. Denn bei dieser Temperatur bekommen die Schwerbeschädigten bei den Berliner Behörden hitzefrei. „Es sieht nicht so aus“, mußte Schulz den Anrufer enttäuschen.

Die Entscheidung, welche Tageshöchsttemperatur an die Medien herausgegeben werden solle, dealten Schulz und sein Kollege Döbke gestern wie Teppichhändler auf einem orientalischen Basar aus. Döbke mit skeptischem Blick auf das Thermometer: „Gehen wir lieber auf 25 Grad runter.“ Schulz: „Es wird heute noch sonnig. Ich bleibe bei 28.“ Döbke: „Die Blöße will ich mir nicht geben, also 27 Grad?“ Schulz: „28 Grad!“ Plutonia Plarre